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SLUB-Lieblingsstücke 5: Das Duell mit dem Tod

Schon als Studentin unterstützte Katrin Mai als Hilfskraft die Provenienzforschung an der SLUB. Dabei nimmt sie die Buchbestände kritisch unter die Lupe und untersucht, ob sie der SLUB tatsächlich gehören oder ob sie unrechtmäßig in ihren Besitz gekommen sind. Denn während der NS- und Nachkriegszeit und auch in der DDR wurden Bücher ihren Besitzern entzogen. Sowohl die Ermittlung der ursprünglichen Eigentümer als auch die Rekonstruktion der Erwerbungsvorgänge sowie die eventuelle Recherche der Erben gestalten sich dabei knifflig, halten aber auch Überraschungen bereit.

Provenienzforschung hat viel mit Detektivarbeit zu tun. Und so steht am Anfang wie bei jedem guten Krimi eine Autopsie – wobei bei uns selbstverständlich Bücher anstatt Menschen genauestens unter die Lupe genommen werden. Jedes einzelne wird nach Merkmalen untersucht, die auf seine Herkunft schließen lassen könnten: Das können Notizen aller Art sein, eine Zahl – vielleicht ein Preis?, ein ausradiertes Autogramm oder ein Stempel. Hin und wieder stoßen wir Provenienzforscher:innen auf künstlerisch gestaltete Zettel, die meistens auf der vorderen Innenseite des Bucheinbandes eingeklebt sind: die sogenannten Exlibris. 

Die Bandbreite dessen, was auf den Exlibris dargestellt wird, ist groß. Neben dem bloßen eingerahmten Namen gibt es viele Besitzermarken mit bildlichen Darstellungen wie Wappen, lesenden Gestalten, Landschaften oder Stillleben. Am liebsten mag ich eine Karikatur, die Will Halle in den 1940er Jahren für seinen Freund und Nachbarn Otto Hein schuf: In einem Apothekerglas duelliert sich ein kugelrunder Mann mit einem Skelett. Schweißtropfen fliegen ihm in der Hitze des Gefechts von der Stirn, doch hat er seinen Gegner schon in die Ecke gedrängt.

Nicht nur der Humor macht das Exlibris für mich so erfreulich, sondern auch die sprechende Darstellung, die so viel über den einstigen Eigentümer des Buches aussagt: Gleich erkennen wir seinen Beruf am wehenden Kittel und eine seiner Leidenschaften in Form des aus der Tasche herausragenden Buches: Goethe. Durch den Glücksfall, dass uns noch weitere Exlibris von Otto Hein vorliegen, lässt sich sogar noch mehr entschlüsseln. 

Ein anderes Exlibris, das von Gottfried Richter für Otto Hein geschaffen wurde, zeigt Elemente, die wir aus dem oben genannten Exlibris schon kennen: den Tod als Knochenmann und Gerätschaften aus der Apotheke. Erhellend ist das Zeichen rechts vom Namenszug Otto Heins. Die Recherche als zweiter Teil unserer Detektivarbeit ergab, dass es sich dabei um den Zirkel der Landsmannschaft Teutonia handelt. Diese Würzburger Studentenverbindung zählt zu den schlagenden Verbindungen, die regelmäßig Fechtkämpfe austragen. Mit diesem Wissen lässt sich das Duell mit dem Knochenmann nicht nur als selbstbewusster Anspruch eines Apothekers lesen, den Tod zu bekämpfen – es ist auch eine Erinnerung an aktive Studententage. Dieses Beispiel zeigt, wie voraussetzungsreich das Entschlüsseln von Exlibris und anderen Besitzmerkmalen ist: Vieles muss in einen Kontext gesetzt werden, der erst nach und nach rekonstruiert werden kann. Es ist deshalb sehr wichtig, die Ergebnisse der Forschung öffentlich zu machen und sich mit anderen Forscher:innen zu vernetzen. Die bei der Provenienzrecherche an der SLUB gewonnenen Erkenntnisse sind in der Online-Bildkollektion „Provenienz“ der Deutschen Fotothek verstetigt, sie fließen in die Personendatensätze der Gemeinsamen Normdatei (GND) ein und sind in den Einträgen des Online-Katalogs der SLUB sichtbar.

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1 Kommentar(e)

  • Anne Büsing
    11.07.2023 23:07
    Otto Hein - ein redendes Exlibris?

    Von einer Frankfurter Exlibris-Freundin wurde ich auf diesen Link aufmerksam gemacht und möchte für die Exlibriskunst eine Lanze brechen. Denn mit der Autorin Katrin Mai teile ich die Leidenschaft der Provenienzforschung, besonders der Exlibrisforschung. Als Mitglied der Deutschen Exlibrisgesellschaft DEG, https://www.exlibris-deg.de habe ich stets die Wichtigkeit der Eignerforschung hervorzuheben versucht, nicht zuletzt mit einem Artikel im DEG Jahrbuch 2023¹.
    Ein Exlibris, von einem Künstler in Absprache mit dem Eigner für diesen ganz speziell geschaffen, verrät oftmals vieles über den Auftraggeber. Um diese Hinweise zu verstehen, ist es wichtig zu ermitteln, wer dieser Mensch war, der sich uns durch sein Exlibris vorstellt.
    Die professionelle Vorgehensweise bei der Betrachtung der Exlibris versetzte die Autorin in die Lage, konkrete Aussagen zum Eigner zu machen. Otto Hein war also Apotheker und gehörte der schlagenden Verbindung Landsmannschaft Teutonia an. Der Violinschlüssel lässt zudem einen Freund der Musik vermuten.
    Bei dem Lieblingsstück „Duell mit dem Tod“ würde ich noch einen Schritt weitergehen und das Exlibris als redend bezeichnen, was durchaus auch für das Blatt von Gottfried Richter zutreffen könnte. Ein redendes Exlibris zeigt eine Darstellung, die zum Namen des Eigners eine Aussage macht. Wenn also ein Eigner namens Schmied auf seinem Exlibris einen arbeitenden Schmied dargestellt bekommt, einem Eigner Müller eine Mühlendarstellung zugeordnet wird oder bei dem Namen Pfeiffer einen Menschen eine Pfeife an die Lippen gesetzt wurde, handelt es sich um redende Exlibris.
    Unser Eigner heißt Otto Hein, dem ein Knochenmann auf seinem heiteren Exlibris zugeordnet wird. Dabei an Freund Hein, die Personifikation des Todes, zu denken, liegt für mich sehr nah.
    Anne Büsing, Herne
    ¹Anne Büsing: Eignerforschung – ein Muss? in: DEG Jahrbuch 2023, S. 43-50

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