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Verbrannt – verboten – nicht zu benutzen

„Seit Bücher geschrieben werden, werden Bücher verbrannt. Dieser abscheuliche Satz hat die Gültigkeit und Unzerreißbarkeit eines Axioms ... Das blutige Rot der Scheiterhaufen ist immergrün.“ Diese bestürzende Aussage von Erich Kästner hat leider bis heute ihre Aktualität nicht verloren. Ein Beitrag zur Erinnerung an die Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933.

Das Bild zeigt den Titel des Buches "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums" von 1938

Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, 1938

Erich Kästner, der Bestseller-Autor u.a. von „Emil und die Detektive“, gehörte zu den Publizist:innen, deren Bücher am 10. Mai 1933 öffentlich von den Nationalsozialisten verbrannt wurden. Der sogenannte Feuerspruch lautete dazu: „Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Gläser und Erich Kästner.“ Was diese diffamierenden Aussagen für die Schriftsteller bedeuten, ist unschwer zu erraten: Ausgrenzung, Flucht ins Ausland, Verfolgung, Inhaftierung, Ermordung. Auch in Dresden wurden 1933 Bücher verbrannt. Bereits am 8. März setzte die SA am Wettiner Platz vor dem Gebäude der Dresdner „Volkszeitung“ einen Bücherstapel in Brand. Oberhalb der heutigen SLUB, am Bismarckturm, fand dann im Rahmen des verordneten „Volkszorns“ am 10. Mai eine solche schändliche Veranstaltung statt.
Die Bücherverbote wurden 1938 in der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ festgehalten, allerdings „Streng vertraulich! Nur für den Dienstgebrauch!“, wie oben auf der Titelseite ersichtlich. Dazu erschienen noch drei Ergänzungslisten 1939-1941.

Auf Seite 76 findet sich dort der Eintrag „Kaestner, Erich: Sämtliche Schriften“. Infolge dieser Anordnung mussten die Bücher der in der Liste vermerkten Autor:innen nicht nur aus dem Angebot der Buchhandlungen verschwinden, sondern die Benutzung derselben in Bibliotheken war verboten, soweit sie dort nicht bereits entfernt worden waren. Die damalige Sächsische Landesbibliothek (SLB) vernichte zwar nicht die Bücher des 1899 in Dresden geborenen Schriftstellers, durfte aber kein Exemplar mehr ausleihen oder musste einen wissenschaftlichen Verwendungszweck nachweisen.
Hinweise auf diese Zensur sind noch heute im alten alphabetischen Katalog der SLB zu finden. Dort sind zwei blaue Kreuze angebracht, die auf das Ausleihverbot, hier bei dem Roman „Fabian“, hinweisen:

Der Band überlebte den Zweiten Weltkrieg nicht, wie das Kriegsverlustzeichen rechts neben den Kreuzen verrät. In den 1990er Jahren aber konnte die SLB eine umfangreiche Erich-Kästner-Sammlung erwerben. Darunter fand sich auch die Erstausgabe des „Fabian“ von 1931, die die Bibliothek vor 1945 gar nicht besessen hatte.

Auch der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud gehörte zu den „verbrannten“ Autoren. Er wurde am 10. Mai mit folgender Diffamierung deklassiert: „Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens! Für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften des Sigmund Freud.“

Logischerweise versah man den Namen des Autors auch mit zwei blauen Kreuzen auf dem Katalogblatt. 

Die Verbotspraxis bezog sich aber nicht nur auf damals sehr prominente Publizist:innen. Der Schweizer Pädagoge Hans Zulliger, der noch heute als einer der bedeutendsten Kinderanalytiker gilt, war ein Anhänger Freuds. Auf dem Buchrücken des Bibliotheksexemplars seines Buches „Schwierige Schüler. Acht Kapitel zur Theorie und Praxis der tiefenpsychologischen Erziehungsberatung und Erziehungspraxis“ (Bern, 1935) ist auf dem Signaturschild links oben das blaue Kreuz zu sehen.

Das Ausleihverbot musste befolgt werden. Ansonsten drohten für die Mitarbeiter:innen Anzeigen oder Denunziationen. Die Bibliotheksakten belegen das in erschreckender Weise.

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