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Nicht zum Komponisten berufen? Zum 50. Todestag von Kreuzkantor Rudolf Mauersberger

Vor 50 Jahren, am 22. Februar 1971, starb Rudolf Mauersberger – kurz nachdem er sein Dresdner Requiem im alljährlich stattfindenden Gedenk-Konzert zum 13. Februar in der Kreuzkirche dirigiert hatte. Wir laden Sie hier im Blog ein, sich aus diesem Anlass dem berühmten Kreuzkantor, seinen Werken, deren Aufführung und Rezeption zu widmen!

Foto: SLUB/Deutsche Fotothek/Richard Peter jun.

Wie kaum ein anderer beeinflusste Rudolf Mauersberger die Kirchenmusik Dresdens im 20. Jahrhundert: durch seine Aufführungen großer Chorwerke Johann Sebastian Bachs oder von Heinrich Schütz, aber auch durch eigene Kompositionen. Pädagogisch und künstlerisch prägte er über 40 Jahre lang den Dresdner Kreuzchor, der unter seiner Leitung internationale Bedeutung erlangte. Nicht nur hier, sondern auch auf den Tourneen in fast alle Länder Europas und die USA wurden Aufführungen wie Programme hoch gelobt.

Der Kreuzkantor als Komponist

Mauersbergers gemäßigt moderne, größtenteils liturgisch gebundene Kompositionen blieben lebendig und werden noch heute aufgeführt. Dabei führte der Kreuzkantor die Werke seiner bedeutendsten Schaffensphase zwischen 1944 und 1948, die unter den Eindrücken der Nöte und des Schreckens der letzten Kriegsmonate entstanden, auf den „Notenmangel des in seiner Existenz bedrohten Kreuzchores“ zurück, wie der Dresdner Musikwissenschaftler Prof. Dr. Matthias Herrmann im Vorwort der von ihm 1980 herausgegebenen Erstausgabe der „Lukaspassion“ erklärte. „Aus dem Umstand, ,zwangsläufig zum sogenannten Komponisten geworden zu sein‘ – er fühlte sich nie als ‚berufener Komponist‘ –, leitet sich auch seine Zurückhaltung der Veröffentlichung eigener Werke gegenüber ab.“, so Herrmann Bezug nehmend auf einen Brief Mauersbergers an den Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR aus dem Jahr 1953. 

Ein großer Teil des durchaus umfangreichen Œuvres Mauersbergers wird in der SLUB bewahrt, im Besonderen ein Korpus handschriftlicher Überlieferungen. Er gibt, genauso wie ProgrammhefteTonaufnahmen und Fotografien Aufschluss über Bedeutung, Werk und Selbstverständnis des Kreuzkantors.

Leben und Werk

Rudolf Mauersberger, am 29. Januar 1889 im erzgebirgischen Mauersberg als Sohn des dortigen Kantors und Lehrers geboren, studierte am Leipziger Konservatorium. Nach dem 1. Weltkrieg wirkte er als Kirchenmusiker in Lyck und Aachen. 1925 wurde er zum Landeskirchenmusikwart von Thüringen berufen und war zudem Kantor an St. Georg in Eisenach.
Während Mauersberger in den Anfangsjahren noch Instrumentalwerke schuf, vertonte er seit 1919 ausschließlich Chormusik für die eigene Praxis.

Anfang Mai 1930 wurde Mauersberger unter mehr als 80 Bewerbern zum 25. Dresdner Kreuzkantor gewählt. Dort konzentrierte er sich zunächst auf die musikalisch-liturgische Neugestaltung der Christvespern des Kreuzchores.

Gleich zu Beginn seiner Wirkungszeit erweiterte der Kreuzkantor das Chorrepertoire: Nun gelangten auch zeitgenössische Kompositionen von Günter RaphaelJohannes DriesslerHugo Distler und Arnold Ludwig Mendelssohn zur Aufführung. Aus dieser Zeit gibt es einige Aufnahmen, wie zum Beispiel Mendelssohns „Immer wenn der Märzwind weht“, denen Sie in der Digitalen Mediathek der SLUB lauschen können.

Relativ schwierig erscheint die Einordnung Mauersbergers in der NS-Zeit. Betont wird häufig, dass er auch in dieser Zeit Werke jüdischer Komponisten aufführte. Außerdem sei es ihm vor allem um die Weiterführung der kirchlichen Tradition gegangen, etwa mit der bewussten Einführung der Kurrende-Tracht bei Auftritten des Kreuzchores im kirchlichen Kontext. Sie standen im Kontrast zu Auftritten in HJ-Uniformen, wie etwa bei der Eröffnungsveranstaltung der „Berliner Chorkonzerte der Hitler-Jugend“ im Dezember 1942. Dass Mauersberger, wie sein Bruder Erhard auch, Mitglied der NSDAP war, wurde vor allem in jüngster Zeit genauer hinterfragt, z.B. im Deutschlandfunk, oder darauf bezugnehmend durch den aus Dresden stammenden Komponisten H. Johannes Wallmann.

Den Zweiten Weltkrieg und die Luftangriffe überlebte Mauersberger, in Dresden weilend, nur knapp, einige seiner Schüler kamen ums Leben. Kreuzkirche, -schule und Alumnat waren zerstört, die Notenbibliothek und das Archiv des Chores in Flammen aufgegangen.

Schon im Frühsommer 1945 begann Mauersberger mit dem Neuaufbau des Chores. Seine unter dem Eindruck der Zerstörung Dresdens entstandenen Werke, das Dresdner Requiem und die einleitende Motette des Zyklus Dresden „Wie liegt die Stadt so wüst“ sind zentral im Schaffen des Kreuzkantors.

„Wie liegt die Stadt so wüst“ wurde am 4. August 1945 anlässlich der Wiederaufnahme der Kreuzchorvespern in den Mauern der ausgebrannten Kreuzkirche uraufgeführt und ist bis heute in den Konzerten am 13. Februar zu hören. Im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Schrecken des Krieges untersuchte der Dresdner Musikwissenschaftler Wolfgang Mende jüngst u. a. Mauersbergers Haltung anhand dieses Werkes. 

Ab 1955 etablierte Mauersberger in der wieder eingeweihten Kreuzkirche eine umfassende Schütz-Pflege und veranstaltete seither alljährlich die Schütz-Tage des Kreuzchores. Daneben setzte er dem Dresdner Hofkapellmeister mit 16 Schallplatten, die zwischen 1962 und 1970 eingespielt wurden, ein klingendes Denkmal – möglicherweise aus dem Antrieb heraus, die kirchenmusikalische Tradition, unter der DDR-Regierung nicht gerne gesehen, zu stärken.

Weit über das 80. Lebensjahr hinaus leitete Mauersberger den Kreuzchor. Er prägte fünf Kruzianergenerationen. Mitglieder seines Chores traten wichtige musikalische Ämter an und machten, wie z.B. Peter Schreier bereits zu Zeiten ihrer Chormitgliedschaft exponiert, Weltkarrieren. Auch dazu finden Sie Aufnahmen in der Digitalen Mediathek der SLUB.

Der musikalische Nachlass in der SLUB

Diese Schlaglichter signalisieren, dass Mauersberger entgegen seiner bescheidenen Selbsteinschätzung ein umfangreiches und schwerwiegendes kompositorisches Œuvre hinterließ. 1973 gelang es der damaligen Sächsischen Landesbibliothek, den größten Teil seines kompositorischen Nachlasses zu erwerben. Es handelte sich vor allem um unveröffentlichte Materialien, die in der Kreuzschule und im Heimatort Mauersberg aufbewahrt worden waren. 1989 konnte die Sammlung durch Kompositionen aus Mauersbergers Eisenacher Wirkungszeit ergänzt werden. Von den Autographen und Abschriften fertigte Matthias Herrmann Katalogisate an und veröffentlichte 1976 ein erstes Werkverzeichnis, das von ihm 1991 aktualisiert wurde. Daneben bezeugen zahlreiche Rundfunk- und Schallplattenproduktionen die künstlerische Lebensleistung Mauersbergers, aber auch einige historische Privataufnahmen, die ebenfalls in der SLUB gesammelt werden. Es bleibt viel zum Stöbern!

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