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Digitale Erinnerungskultur in Sachsen – Ergebnisse und Eindrücke von der Vernetzungstagung in der SLUB

Die Tagung Erinnerungskultur digital - Impulse, Herausforderungen, Strategien führte am 7. und 8.10.2022 mehr als 100 Teilnehmende aus mehr als 60 Vereinen, Initiativen und Einrichtungen in der SLUB zusammen. Worum es ging und was die wichtigsten Erkenntnisse waren, erfahren Sie hier im SLUBlog.

Die Sächsische Bibliotheksgesellschaft richtete die Tagung im Workshopformat gemeinsam mit acht Partnereinrichtungen und finanzieller Unterstützung des Landesdigitalisierungsprogramms für Wissenschaft und Kultur aus. Die Eröffnungsdiskussion Digital – Macht – Geschichte am 6.10.22 in der Frauenkirche startete mit einem digitalen Impuls von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Gesprochen wurde über die Unterschiede der Erinnerungskulturen in Deutschland, Polen und Tschechien sowie über Möglichkeiten, europäische Erinnerungsorte digital stärker sichtbar zu machen und zu vernetzen.

Digitalisierung der Erinnerungskultur

Welche Werkzeuge und Methoden braucht es in der digitalen Erinnerungskultur? In den Diskussionen wurde deutlich, dass gerade die Wikimedia-Plattformen hier durch Open Source und Kostenfreiheit ein hohes Potential haben. Ein weiteres Ergebnis ist der Impuls, dass Archive und Bibliotheken eine Schlüsselrolle bei der digitalen Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit von Projekten zur Erinnerungskultur übernehmen sollten. Auch sei die Vernetzung und öffentliche Sichtbarkeit deutlich zu stärken.

Eine zweite zentrale Frage ist, wie Lücken bei der Digitalisierung historischer Zeitzeugnisse angesichts des Verlusts von Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts ausgefüllt werden können. Dr. Konstantin Hermann (Landesdigitalisierungsprogramm der SLUB Dresden) und Dr. Domenic Städtler (Deutsche Digitale Bibliothek) plädierten bei der Vielzahl der Portale und Suchmöglichkeiten für Hilfestellungen und Handreichungen, auch für noch mehr Unterstützung bei der praktischen Weitergabe digitalisierter Quellen an diese Portale. Der Sinn und Nutzen von Disclaimern bei der digitalen Präsentation ethisch problematischer Quellen wurde intensiv diskutiert: Disclaimer sollten gut dosiert und gezielt eingesetzt werden, ohne Nutzer:innen zu bevormunden. Noch wichtiger seien aber geeignete Kontextualisierungen. Beim Zeitungsportal der Deutschen Digitalen Bibliothek etwa sollten künftig NS-Zeitungen neben Exilzeitungen gestellt werden, um direkt und barrierefrei auf unterschiedliche Zeitzeugnisse zugreifen zu können.

Auch hinsichtlich der Vermittlung braucht es digitale Konzepte, welche die realen Orte mit einbeziehen: „Gedenkstätten brauchen mehr Digitalität, sie brauchen aber auch die Präsenz vor Ort. Die Menschen möchten nach der Pandemie jetzt wieder leibhaftig an die historischen Orte.“ Neue Besuchergenerationen mit intelligenten digitalen Formaten in die vielen originalen Erinnerungsorte einzuladen, sei die aktuelle Herausforderung. Dafür hatte sich am Vorabend bereits Wojciech Soczewica am Beispiel des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ausgesprochen.

Viel Potential für die digitale Vermittlung bietet auch das  Gaming: Es sollte als Vermittlungsformat von und für Digital Natives ernst genommen und im Dialog von Spiele- und Gedenkkultur aktiv weiterentwickelt werden.

Um alle Zielgruppen zu erreichen ist auch die Kommunikation über Social Media notwendig. Dr. Iris Groschek, Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen, faszinierte mit ihren Praxiserfahrungen bei TikTok, um neues Publikum für die Hamburger Gedenkstätte KZ Hohengamme zu gewinnen. Sie wünschte, dass digitale Bildung endlich als Basisaufgabe begriffen und Personalressourcen entsprechend in den Institutionen eingesetzt werden. Ziel sei eine wertschätzende Haltung für junge Zielgruppen, die anders erreicht werden (wollen).

Markt der Möglichkeiten

Auf dem Markt der Möglichkeiten war Platz für Anschauung und Zeit für Gespräche. Zwölf Vereine und Initiativen präsentierten ihre Arbeit. So engagiert sich Jan Schenck seit vielen Jahren für die „Verbrannten Orte“, konkret für die Kartierung und Vernetzung von Quellen zu den Orten der Bücherverbrennung 1933.

Die Sächsische Landesbeauftrage zur Aufarbeitung der SED-Diktatur präsentierte das Projekt Hi-Stories, das sich direkt an die Schulen wendet. Wie die Stolpersteine NRW durch den WDR vernetzt wurden, erläuterten Stefan Domke und Jule Küpper aus Köln.

Christian Hubert stellte Spiele aus seiner Datenbank Games und Erinnerungskultur vor. Kay-Michael Würzner (Open Science SLUB Dresden) präsentierte das Moravian Knowledge Network, welches sich mit der digitalen Erschließung handschriftlicher Quellen der Herrnhuter Brüdergemeine befasst. Fragen rund um Wikisource beantwortete Andreas Wagner am Wikisource-Beratungsstand.

Bürgerengagement für eine digitale Erinnerungskultur

Der Samstag war der Zusammenarbeit von Ehrenamtlichen, Initiativen und Institutionen gewidmet.  Es wurde deutlich: Es gibt viel Engagement, viele Erfolge und eine hohe Motivation, aber auch Defizite und To do´s: Mehr Vernetzung zur Vermeidung von Doppelarbeit und mehr Nachhaltigkeit waren zwei Themenschwerpunkte und Forderungen. „Was uns fehlt, ist ein guter Überblick über die vielen neuen Tools und Werkzeuge, die wir angefangen von Citizen Science bis zur Spitzenforschung gemeinsam nutzen können, um innovative Projekte zu gestalten“, sagte Katrin Moeller vom Historischen Datenzentrum der Universität Halle: „Es sind vor allem die gemeinsamen Schnittstellen, Normdaten und Linkage-Techniken, über die wir webbasiert die Brücken zwischen den einzelnen Projekten schlagen können und so vernetztes Wissen für Erinnerungskultur und Wissenschaften voranbringen.“

Die Tagung war zwar hybrid angelegt, aber alle waren sich einig, dass nach der langen Corona-Unterbrechung die persönlichen Gespräche überfällig waren. Eine konstruktive Zusammenarbeit von so unterschiedlichen Akteur:innen auf Augenhöhe benötigt Vertrauen und regelmäßigen Austausch. Die Tagung versteht sich deshalb als Anfang und Impuls für mehr Vernetzung und Digitalität in der Erinnerungskultur. Und auch darüber waren sich alle einig: Demokratie braucht mehr digitale Bildung und eine weiterhin lebendige und überzeugende Erinnerungskultur, analog und digital.

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