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Kratzen am Beton: Ein Nachruf auf Barbara Metselaar Berthold

Nur wenige Fotograf:innen haben in der DDR so eindringlich nach den Spuren der individuellen Auseinandersetzung mit der Agonie des Systems gesucht wie sie. Barbara Metselaar Berthold ist am 21. September in Berlin verstorben, ihr fotografisches Lebenswerk hinterlässt sie der Deutschen Fotothek an der SLUB Dresden.

Abgebildet ist die leicht vernebelte Sicht aus einem Autofenster im Jahre 1980. Es ist im Nebel ein Mann zu sehen, der zu seinem Auto läuft.

Barbara Metselaar Berthold: Mischko unterwegs, Autobahn nach Jena, 1980 © Deutsche Fotothek / Barbara Metselaar Berthold

Treffender als mit „Kratzen am Beton“, der Titel ihres 2008 veröffentlichten Buches, lassen sich die zwischen 1970 und 1984 entstandenen Fotografien Barbara Metselaar Bertholds kaum beschreiben. Sie zeigen das Stimmungsbild einer Jugend, ihrer Jugend, die Tabus und Konventionen entfliehen will, lustvoll und ausgelassen das Jung- und Anderssein feiert, in der DDR. Doch mit den Jahren mehren sich in der Szene Zeichen der Melancholie, am Ende steht der Rückzug in die immer hermetischere Welt einer erklärten Distanz: Nur wenige Fotograf:innen haben so eindringlich ihr seelisches Befinden in der Enge des Systems in Bildern ablesbar gemacht wie sie.

Die Fotografin und Filmemacherin wurde 1951 als Barbara Berthold im sächsischen Pleißa geboren. Von 1969 bis 1971 studierte sie zunächst Sozialpsychologie in Jena, bevor von 1971 bis 1976 ein Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig folgte, das sie mit Diplom abschloss. Anschließend arbeitete sie als freiberufliche Fotografin im Prenzlauer Berg in Ostberlin, nach einem kurzen Intermezzo für das Jugendmagazin „Neues Leben“ nicht mehr für die Presse, sondern für Theater, Filmproduktionen und bildende Künstler:innen. Daneben entstanden Arbeiten „im eigenen Auftrag – nicht verkäuflich, aber unabdingbar zur Bestätigung der Identität.“ Für den anfänglichen Versuch, immer wieder das alltägliche soziale Leben darzustellen, einen Gegenentwurf zu schaffen zur offiziellen Propaganda, eine andere Sicht zu etablieren, fehlte ihr bald die Kraft: „Die allgemeine Depressivität der Lebensumstände übertrug sich so stark auf die eigene Situation, daß ich diese Art öffentlicher Fotografie einfach nicht mehr leisten konnte.“ Stattdessen entstanden Serien wie „Abwesenheiten“ oder „Hinter Glas“, die Menschen erahnen lassen, sie aber nicht zeigen. Auch formale Ansprüche spielten eine immer größere Rolle in Bildern von zunehmend irritierender, erschreckender Härte, die den Verlust des Bodens unter den Füßen zum Ausdruck brachten. Der Absprung war unvermeidlich.

Im Jahr 1984 heiratete sie pro forma den Niederländer Kees Metselaar und reiste aus der DDR aus. In den Jahren von 1985 bis 1989 war sie in Westberlin u. a. an der Werkstatt für Photographie in Kreuzberg und an der Hochschule der Künste tätig. Zwischen Ende der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre war Barbara Metselaar Berthold primär mit der Herstellung von Dokumentarfilmen und Video-Essays beschäftigt. Metselaars Film „Wir wären so gerne Helden gewesen“, 1996 auf dem Internationalen Festival für Dokumentar- und Animationsfilm in Leipzig mit der Silbernen Taube ausgezeichnet, ist eine kollektive Biografie ihres Freundeskreises über den Zeitraum der Endsechziger bis Mitte der 1990er Jahre, die möglicherweise dazu beigetragen hat, dass sich die Fotografin wieder auf das statische Bild besann. 1998/99 hatte sie einen Lehrauftrag für Fotografie an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg inne. Als Preisträgerin des Künstlerinnenprogramms des Berliner Senats konnte sie 2010 die Einzelausstellung „Filetstücke. Vexierbilder Berlin Mitte“ im Ephraim-Palais realisieren sowie das Buch „Albatros – Vom Abheben. Fotografien 1971–2010“, das als eine Art Resümee ihrer Fotografie betrachtet werden kann, ebenso wie die Ausstellung „Suche, Seele, suche – Zwischen zwei Welten“ in der Galerie argus Fotokunst im gleichen Jahr. Mit der Ausstellung „Wir wären so gerne Helden gewesen“ wurde ihr filmisches Werk 2018 in der Berliner Galerie Pankow gewürdigt.

Dass Barbara Berthold zu den großen Fotograf:innen der DDR gezählt werden muss, belegen allein schon ihre Aufnahmen, die jüngst in der Ausstellung „Der große Schwof – Feste feiern im Osten“ gezeigt wurden. Als „Auseinandersetzung mit Ausdrucksformen emotionaler Entgrenzung, ekstatischer Bewegung und enthemmter Körpersprache“ (Andreas Krase) verraten sie unterschwellig auch viel über den Zustand der DDR am Anfang der 1980er Jahre, ebenso die zeitgleich entstandenen Portraits: „Kein Lächeln nirgends. Nicht ganz einfach, sich diese Gesichter zugleich als nimmermüde Szenehelden vorzustellen. Doch in den wilden Partynächten tobte das Delirium“ (Wolfgang Kil). Nach Ende des Prager Frühlings (1968) und spätestens nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns (1976) hatte in der Szene allerdings eine gewisse Ermüdung eingesetzt, die sich auch in den mitunter irritierenden Blicken Bertholds auf den Prenzlauer Berg spiegelt. Die Protagonisten werden älter, die „kleinen Fluchten“, ekstatisch anmutende Ausbrüche in dauernder „Balance zwischen Euphorie, Geborgenheit und Verzweiflung“ (Berthold), wirken zunehmend hilfloser. Den Beteiligten gemeinsam war die politische Resignation, der Rückzug ins Private. Viele von ihnen sind in den Westen gegangen, die Dagebliebenen und ihre Feste, häufig Abschiedsfeiern, hat Barbara Berthold portraitiert, um, wie sie sagt, „dieses kollektive Lebensgefühl eines bestimmten Teils einer bestimmten Generation der DDR-Gesellschaft zu vermitteln.“

Ende 2023 hat die Deutsche Fotothek 100 Abzüge für ihre Sammlung erworben, die spätere Übernahme des Archivs Barbara Metselaar Berthold wurde vertraglich vereinbart.

ZUM WERK VON BARBARA METSELAAR BERTHOLD IN DER DEUTSCHEN FOTOTHEK

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