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Verschollene Beethoven-Skizze wiederentdeckt: Nachlass des Dresdner Musikgelehrten Otto Böhme jetzt digital verfügbar

Otto Böhme, geboren am 7. März 1807 in Frankenberg und gestorben am 9. September 1874 in Dresden, stammt aus einer Frankenberger Druckerfamilie. Nach dem Besuch der Königlichen Landesschule in Grimma wirkte er zunächst als Musiklehrer in Leipzig, ab 1843 dann bis zu seinem Tod als Privatgelehrter in Dresden. Offenbar in Leipzig begann er, sich in der Kulturszene und insbesondere der Musikwelt gezielt zu vernetzen und bei Konzerten um Handschriften der beteiligten Künstler:innen zu bitten.
Das Ergebnis erweist sich aus musikhistorischer Sicht als reiche Quelle: Die Sammlung spannt ein inhaltlich dichtes und weites Netzwerk auf, das das „who is who“ des sächsischen und deutschen Kultur- und insbesondere Musiklebens abbildet. Komponisten wie der Leipziger Konservatoriumsprofessor und gefeierte Pianist Ignaz Moscheles oder der Dresdner Hofkapellmeister Carl Gottlieb Reißiger steuerten Manuskripte ihrer Werke bei, die Mitglieder des renommierten Streichquartetts von Ferdinand David, aber auch Felix Mendelssohn-Bartholdy oder Louis Spohr verewigten sich auf Stammbuchblättern. Überlieferte Korrespondenzen mit dem Komponisten Julius Rietz oder dem Bildhauer Gustav Adolph Kietz zeigen, dass der Kontakt teils eng war und weit über eine Zufallsbekanntschaft hinausging. In einigen Fällen vermerkte Otto Böhme den Kontext, hielt fest, wann er den jeweiligen Verfassern begegnete und wie die Kontaktaufnahme verlaufen war: Mendelssohns „Bescheidenheit“ wird so beispielsweise mit der „Unbescheidenheit“ Wilhelm Tauberts direkt kontrastiert.
Herzstück der Sammlung ist jedoch ein bislang nicht bekanntes Skizzenblatt Ludwig van Beethovens:
Dabei handelt es sich vermutlich um ein Einzelblatt aus dem sogenannten Sauer-Skizzenbuch. Der Wiener Musikalienhändler Ignaz Sauer (1759-1833) war nach dem Tod des Komponisten 1827 an der Schätzung des Nachlasses beteiligt und ersteigerte das betreffende Skizzenbuch am 5. November für seinen eigenen Besitz. Allerdings mit der Absicht eines lukrativen Geschäfts: Er zerlegte es anschließend und verkaufte es in Form von Einzelseiten weiter. Mittlerweile konnten 22 dieser Blätter lokalisiert werden, so befinden sich beispielsweise einzelne von ihnen in Bonn, Berlin, Wien, Cambridge und Stockholm. Doch von einigen Seiten fehlen weiterhin alle Spuren.
Eines dieser fehlenden Skizzenblätter könnte nun im Nachlass Otto Böhme wieder aufgetaucht sein: So stimmt nicht nur das Papierformat überein, sondern auch die Unregelmäßigkeiten des äußeren Randes der Rastrierung passen zu der Beschreibung des Sauer-Skizzenbuchs. Einen wichtigen Hinweis zur Identifizierung liefert außerdem das Wasserzeichen: Der hier erkennbare siebenarmige Seestern ist Teil der Wasserzeichen des im Skizzenbuch verwendeten Papiers.
Schließlich spricht auch der Inhalt für eine Zugehörigkeit zum Sauer-Skizzenbuch: So sind auf der Vorderseite Skizzen zu einigen Takten aus dem Schluss des letzten Satzes der Klaviersonate op. 27, 2 (Sonata quasi una fantasia) notiert.
Zu diesem Werk, insbesondere zum dritten Satz, liegen mehrere Skizzenblätter aus dem Sauer-Skizzenbuch vor. Die Beliebtheit der unter dem Namen „Mondschein-Sonate“ bekannt gewordenen Komposition mag einer der Gründe gewesen sein, warum Sauer gerade dieses Notizbuch für sich ausgesucht hat und bereit war, einen im Vergleich recht hohen Preis bei der Versteigerung zu zahlen.
Einige Rätsel – unter anderem, auf welchem Weg das Skizzenblatt in den Besitz Böhmes gelangte – bleiben jedoch noch zu lösen: Auf der Rückseite des Blattes sind mehrere kurze skizzierte Abschnitte notiert, die noch nicht identifiziert werden konnten. Aus den weiteren im Skizzenbuch enthaltenen Werken, wie der Klaviersonate op. 28, dem Streichquintett op. 29 oder der Bagatellen für Klavier op. 33 scheinen diese Takte jedenfalls nicht zu sein.
Mittlerweile konnte die Katalogisierung der im Böhme-Nachlass enthaltenen Musikmanuskripte im Internationalen Quellenlexikon der Musik (RISM) abgeschlossen werden – seit Anfang Dezember werden diese Handschriften als erster Teil der Sammlung auch online über die Digitalen Sammlungen der SLUB zur Verfügung gestellt.

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