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Flaneur mit Kamera: Ein Nachruf auf Klaus Eschen

Klaus Eschen: Sammlung Ströher in der Nationalgalerie Berlin, 1969
Geboren am 6. September 1939 in Berlin, als jüngerer von zwei Söhnen der Amerikanerin Gertrude „Lipsy“ Thumm, lernte Klaus Eschen seit frühen Kindertagen das fotografische Handwerk und die Beobachtungsgabe von seinem Vater. Mit zehn Jahren bekam er seine erste Kamera, eine Agfa-Box. Damit machte er sein erstes Foto, ein Porträt seiner Eltern. In der Nachkriegszeit begleitete er seinen Vater durch die in Trümmern liegende Stadt, assistierte ihm bei der Beleuchtung und beim Filmwechsel.
2011 berichtete Klaus Eschen im Tagesspiegel, dass die Außenseiterrolle, die sein Vater in der NS-Zeit als Jude einnehmen musste, sehr prägend für ihn gewesen sei: „1943 ließ uns unsere Mutter erstmals allein. Mein Vater war von der SS abgeholt worden, doch meine Mutter ging mit vielen anderen Frauen in die Rosenstraße, um gegen die Verhaftung ihrer Ehemänner zu demonstrieren.“ Dieser einzige öffentliche Protest gegen die Deportation von Juden in Deutschland rettete Fritz Eschen das Leben. „Ich habe das damals nicht verstehen können, weiß aber, dass mein Vater einige Tage später stark abgemagert und unrasiert zurückkam. So hatte ich ihn noch nie gesehen.“ Klaus Eschens Bruder Thomas starb 1944 mit neun Jahren an einer Blinddarmentzündung, weil der Arzt sich weigerte ein „halb jüdisches Mischlingskind“ zu behandeln.
Als Schüler und Student verdiente Klaus Eschen sein Geld mit Reisefotografie, unter anderem für die Zeitschrift Hör Zu. Doch Eschen entschied sich gegen eine Karriere als Berufsfotograf. Sein Familienschicksal und seine frühen Kindheitserfahrungen prägten sein Gerechtigkeitsempfinden und bestimmten seinen beruflichen Werdegang als Jurist. Bekannt wurde er als Gründungsmitglied des Sozialistischen Anwaltskollektivs. Diesem Zusammenschluss Berliner Rechtsanwälte ging es in den 1970er Jahren darum, die Grundsätze des Rechtsstaats in der täglichen Rechtspraxis zu verwirklichen. Die Arbeit des Kollektivs verlagerte sich zunehmend auf die Verteidigung von Angehörigen der RAF und der Bewegung 2. Juni. Zwei Jahre nach dem „Deutschen Herbst“, 1979, löste sich das Sozialistische Anwaltskollektiv einvernehmlich auf. Eschen war weiter als Rechtsanwalt in Berlin tätig und gründete zusammen mit anderen Anwälten, darunter Otto Schily, Rupert von Plottnitz und Gerhard Schröder, den Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), der sich als Teil der Bürgerrechtsbewegung und der Neuen Sozialen Bewegungen versteht. Zwischen 1993 und 1999 war Eschen Notar in Brandenburg, von 1992 bis 2000 zudem Richter am Berliner Verfassungsgerichtshof. Er verfasste 1997 die Publikation „Gesetzliches Unrecht in der Zeit des Nationalsozialismus“ und engagierte sich stets für Minderheiten und Außenseiter der Gesellschaft.
In seinem fotografischen Werk ist diese empathische Sensibilität auch in vielen seiner Porträts, Straßenszenen und Momentaufnahmen spürbar. Sein 2001 in Kooperation mit der Deutschen Fotothek erschienener Bildband „Berlin – Fotografien 1960–1970“ zeigt die Stadt im Umbruch und mit all ihren Gegensätzen. Eine zwischen Ruinen sitzende alte Frau, die in die Vergangenheit zu blicken scheint, hat Eschen ebenso porträtiert, wie die moderne Architektur der neuen Philharmonie oder Straßenarbeiter, die Aufbruchsstimmung suggerieren. Die Schwarzweißfotografien dokumentieren das Großstadtleben aus nächster Nähe, gleichzeitig nüchtern und präzise, mit einem aufmerksamen Blick für räumliche Komposition und das menschliches Miteinander.
Über seinen Vater, der seinerzeit auch die Stadt Berlin porträtierte, sagt er, dass dieser für ihn der beste Fotograf der Welt sei. So war 2015, wiederum in Kooperation mit der Deutschen Fotothek, im Berliner Kurt-Schumacher-Haus die Ausstellung "Von meinem Vater habe ich sehen gelernt!" Fotografien aus der Nachkriegsgeschichte unserer Stadt von Fritz und Klaus Eschen“ zu sehen.
Dennoch ist es Klaus Eschen scheinbar mühelos gelungen, aus dem Schatten seines Vaters herauszutreten. Vor allem als Chronist West-Berlins der 1960er und 1970er Jahre erlangten seine Fotografien einen besonderen Stellenwert als Zeitzeugnisse und Milieustudien. Beide, Vater und Sohn, waren Flaneure, sie durchstreiften die sich täglich verändernde Stadt und schrieben mit ihren Fotografien Berliner Stadtgeschichte.
Die Deutsche Fotothek erwarb 1972 ca. 25.000 S/W-Negative sowie Prints von Klaus Eschen zusammen im Konvolut mit dem Bildarchiv Fritz Eschens. Der Bestand umfasst die Dokumentation des Berliner Stadtlebens der 1960er Jahre sowie seiner Reisen nach Israel, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Belgien, Großbritannien, in die Niederlande und die USA. Im Jahr 2000 erhielt die Deutsche Fotothek als Schenkung ca. 600 Kleinbild-Negative und Kontaktbögen, darunter Ausstellungs- und Performance-Dokumentationen, Aufnahmen der Justizvollzugsanstalt Moabit und zahlreiche Portraitserien, beispielsweise zu Joseph Beuys und Karlheinz Stockhausen.

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