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Familientreffen der besonderen Art – Nachfahren Victor Klemperers zu Gast in der SLUB

Die SLUB bewahrt eines der wichtigsten Zeugnisse zum Verständnis der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts – die Tagebücher Victor Klemperers (1881 – 1960). Dies war der Grund für einen besonderen und seltenen Besuch: Fünfzig Nachfahren der Familie Klemperer trafen am 20. September auf Einladung von Prof. Thomas Bürger, Generaldirektor der SLUB, zum bislang größten internationalen Familientreffen dieser Art in der SLUB zusammen.

Victor Klemperers Geschwister waren in den 1930er Jahren aus Deutschland geflohen, um den Verfolgungen im Dritten Reich zu entkommen. Er selbst war überzeugt, dass der Nazi-Spuk im gebildeten Deutschland nicht ewig dauern könne und harrte in Dresden aus. Wie durch ein Wunder überlebten er und seine Frau Eva die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945. Und wie durch ein Wunder blieben seine Tagebücher erhalten, in denen er all seine Alltagsbeobachtungen festhielt und so den Zivilisationsbruch in Deutschland dokumentierte.

Nun wollten die Nachfahren der Geschwister Victor Klemperers das wieder aufgebaute Dresden kennen lernen, das Grab von Eva und Victor Klemperer besuchen und endlich die Tagebücher einmal im Original sehen. Aus sieben Ländern waren sie deshalb für ein Wochenende nach Dresden gereist, aus den USA, Uruguay, Spanien, Schweden, Großbritannien, Deutschland und der Schweiz.

Der Rektor der Technischen Universität Dresden, Prof. Hans Müller-Steinhagen, und Bibliotheksdirektor Prof. Thomas Bürger begrüßten die illustre Schar im Vortragssaal der SLUB, der Älteste 86 alt, der Jüngste 13 Jahre jung. Am Vorabend hatte sich viele erstmals kennen gelernt – und waren über Nacht zu einer fröhlichen Familiengesellschaft zusammengewachsen. Neugierig auf die Stadt, auf die Universität und die Bibliothek, neugierig auf die Spuren ihrer Vorfahren waren sie nun endlich beisammen. Stephan Klemperer, ein Großneffe Victor Klemperers, begrüßte die Familie und stellte die Verwandtschaft vor. 

Rektor Prof. Hans Müller-Steinhagen erinnerte in seinem Grußwort an den Professor für romanische Philologie der damaligen Technischen Hochschule Dresden und an eines seiner bekanntesten Bücher, "LTI", in dem Klemperer die Sprache des Dritten Reiches untersuchte und entlarvte. Bis heute ist die TU Dresden Victor Klemperer verbunden und verleiht jährlich die Victor Klemperer-Urkunde an die besten Absolventen der Geisteswissenschaften. Die Nachfahren interessierten sich darüber hinaus und ganz besonders für die dynamische Entwicklung und die heutige Internationalisierung der Universität.

Thomas Bürger erläuterte kurz die Entwicklung der Bibliothek seit Klemperers Zeiten und las einige Passagen aus seinem Tagebuch vor. Am 3.12.1938 hatte er notiert: "Gestern Nachmittag auf der Bibliothek der Ausleihbeamte…: ich solle doch mit ihm in das hintere Zimmer kommen. So hatte er mir vor einem Jahr das Verbot des Lesesaals angezeigt, so zeigte er mir jetzt das gänzliche Verbot der Bibliothek, also die absolute Mattsetzung an. Aber es war anders als vor einem Jahr. Der Mann war in fassungsloser Erregung, ich musste ihn beruhigen. Er streichelte mir immerfort die Hand, er konnte die Thränen nicht unterdrücken…" Klemperers Tagebücher bestechen durch ihre Präzision und große menschliche Empathie. Obwohl er der Zerstörung Dresdens seine Rettung verdankte, war er der erste, der die Zerstörung der Stadt beklagte.

Als 1995 die Tagebücher der Jahre 1933 bis 1945 unter dem Titel "Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten" veröffentlicht wurden, bewegten sie die ganze Welt und wurden in fast alle Sprachen übersetzt. Nun konnten die Nachfahren der Familie Klemperer die Originale in die Hand nehmen. Beeindruckt und interessiert blätterten die jungen Familienmitglieder in den dicht beschriebenen Seiten und bewunderten die saubere Handschrift ihres Urururonkels. Ein lang gehegter Wunsch der Neffen Victor Klemperers wurde wahr.

"So geballte Aufmerksamkeit wie heute bekamen die Tagebücher Victor Klemperers noch nie", so Prof. Thomas Bürger, "doch genau das ist Teil unserer Aufgabe als Bibliothek. Und so etwas wie heute ist ein bewegender Moment, für den sich all´ unsere Mühe lohnt", so Bürger weiter.

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