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Puzzlearbeit an der Schnittstelle zur historischen und philologischen Forschung: Die Erschließung der italienischen Handschriften der SLUB

Der Buchhandschriften-Gesamtbestand der SLUB beläuft sich auf rund 15.000 Bände. Darunter befinden sich zahlreiche Manuskripte in italienischer Sprache. Die DFG fördert seit Ende 2015 ein Projekt zu ihrer Erschließung und Digitalisierung. Dr. Markus Schürer, der die Handschriften gemeinsam mit Anna Katharina Plein bearbeitet, gewährt uns hier einen Einblick in seine Tätigkeit.

Diese Handschriften, die Sie erschließen, die haben nur das formale Kriterium der Sprache gemeinsam, und dass es sich um Handschriften handelt natürlich, bzw. Buchhandschriften, um genau zu sein? Aber diese Werke haben keine weiteren Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihres Inhalts oder sonstiger Eigenschaften? 

Nein, das gemeinsame Merkmal ist tatsächlich dieses, dass sie entweder komplett oder teilweise in italienischer Sprache sind. Zum Verständnis hilft es vielleicht, zu wissen, dass der Handschriften-Gesamtbestand der SLUB sehr groß und sehr heterogen ist. Es gibt dazu einen Katalog, den fünfbändigen so genannten "Schnorr". Hier sind mit ein paar Ausnahmen alle Handschriften der SLUB verzeichnet, aber dieser Katalog ist überholt, er ist ungenau und entspricht nicht mehr den heutigen Standards. Also hat die SLUB begonnen, bestimmte Teile des Bestandes neu zu erschließen, und zwar im Rahmen von Projekten, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert werden, wobei das Handschriftenzentrum der UB Leipzig als Partner fungiert. Dafür musste natürlich ein Ordnungskriterium her. Nun hat selbstverständlich jeder Systematisierungsansatz seine Schwächen, aber die Entscheidung für eine Selektion nach sprachlichen Kriterien lässt sich vor allem pragmatisch begründen.  

Wie groß ist denn etwa dieser Bestand und wie kommt er in den Besitz der SLUB? Lässt sich irgendein Sammlungsschwerpunkt erkennen? 

Nach derzeitigem Kenntnisstand handelt es sich um knapp 400 Stücke. Die meisten davon stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, es gibt aber auch deutlich ältere und jüngere. Im Kern geht die Sammlung auf die kurfürstlich-sächsische Bibliothek zurück und hat das typische Gepräge einer repräsentativen fürstlichen Sammlung der Frühen Neuzeit. Das bedeutet, sie zielt nicht auf irgendeine thematische oder fachliche Geschlossenheit. Es ist alles dabei: Klassische Antike, zeitgenössische Dichtung und Musiktheater, Geschichte, Theologie, Philosophie, Astrologie, Alchemie und vieles mehr. Die Auswahl lässt gelegentlich ein Interesse am Kuriosen und Exotischen vermuten, und nicht selten hat sicher auch der schlichte Schauwert einzelner Stücke eine entscheidende Rolle bei der Erwerbungsentscheidung gespielt. Um einen gezielten, systematischen und differenzierten Zugriff auf diese Bestände zu ermöglichen, werden sie jetzt neu erschlossen.


Was muss ich mir darunter vorstellen: Wie läuft das ab, wenn Sie sich so eine Handschrift vornehmen?

Zuerst kläre ich die Besitzgeschichte unter anderem anhand unserer Archivbestände und Altkataloge. Dann recherchiere ich, was es an Forschung dazu gibt. Oftmals gibt es da gar nichts, weil die Handschriften oder die in ihnen enthaltenen Texte schlicht und einfach unbekannt sind. Bei dem Manuskript, das ich hier gerade auf dem Tisch habe, ist das anders, weil es eine so genannte Zimelie (Kostbarkeit) ist. Es ist eine sehr aufwendig gearbeitete Pergament-Handschrift, die ursprünglich mal als Buch gebunden war. Das Werk ist ausgesprochen wertvoll und auch gut erforscht. Es handelt sich um eine Sammlung von Seekarten von 1568, von DiogoHomem, einem zu seiner Zeit überaus anerkannten portugiesischen Kartographen. Leider wurde die Handschrift 1945 schwer beschädigt und musste deshalb aus ihrem Einband genommen werden.

So eine Handschrift hat doch gar keinen verbindlichen Titel, wie finden Sie denn heraus, ob daran schon einmal jemand geforscht hat.

Über die Signatur in erster Linie. Ab dem Zeitpunkt, ab dem eine Handschrift hier eine Signatur bekommen hat (in der Regel Mscr.Dresd. u.s.w.), ist das nachvollziehbar, weil die Signatur in der Forschung natürlich zitiert wird. Was es an Forschung zu den hiesigen Manuskripten gibt, wurde mit einer recht großen Wahrscheinlichkeit auch erworben. Daher ist die einschlägige Forschungsliteratur zum Handschriftenkorpus des Projekts zu großen Teilen auch in der SLUB greifbar. Am Ende ist es ein Puzzle-Spiel, man hangelt sich da von Fußnote zu Fußnote, wie das in der Forschung eben manchmal so üblich ist.

Diese Schrift ist ganz beeindruckend: Sieht aus wie gedruckt, um ehrlich zu sein. 


Ja, das ist bei italienischen Handschriften des ausgehenden 16. Jahrhunderts nicht unüblich. Es handelt sich hier um eine mit großer Sorgfalt geschriebene humanistische Buchschrift. Diese Schrift, die von den Humanisten des 15. und 16. Jh. kultiviert wurde, und die auf die karolingische Minuskel zurückgeht, war ja auch prägend für die Schriftarten, die wir heute kennen, Garamond zum Beispiel. Sie wurde anhand von Schreibmeisterbüchern erlernt und zur Perfektion gebracht. Verschiedene 'Hände' lassen sich dennoch in den meisten Fällen unterscheiden, aber die grafische Zurichtung ist gleich. 

Sie sagen, es handelt sich hier um eine Seekarten-Sammlung. Nun sind Sie ja wahrscheinlich nicht zufällig auch noch Experte für Seekarten, oder? Ich meine, können Sie dieses Werk inhaltlich ohne Weiteres beurteilen und/oder interpretieren?

Das ist gar nicht meine Aufgabe. Wir arbeiten hier an der Schnittstelle zur philologischen und/oder historischen Forschung. Das bedeutet, wir beschreiben die Handschriften, um sie zugänglich zu machen. Dazu gehören solche Basisinformationen wie Datierung und Provenienz, die Herstellungs- und Besitzgeschichte. Ich versuche, die Nutzenden in den Stand zu versetzen, in dieses Werk einzutauchen: Wie ist es beschaffen? Wie viele Schreiber haben sich darin verewigt? Handelt es sich um ein Autograph? In diesem Fall übrigens schon, das bedeutet, Diogo Homem hat tatsächlich selbst geschrieben und auch gezeichnet. Dann kläre ich die Geschichte der Handschrift: Wann ist sie entstanden? Wer hat sie besessen? Wann taucht sie erstmals in unseren Altkatalogen auf? In diesem Fall hier wissen wir, dass die Handschrift zur Bibliothek Heinrichs von Brühl gehört hat, die 1768 von der kurfürstlichen Bibliothek angekauft wurde. Dadurch kam sie in unseren Bestand. 

Wo und wie machen Sie die Ergebnisse zugänglich?

Die werden in Manuscripta Mediaevalia veröffentlicht und mit den Digitalisaten verknüpft, die in den Digitalen Sammlungen der SLUB präsentiert und in der Folge auch auf den überregionalen Plattformen DDB und Europeana zugänglich gemacht werden. Mit diesem Manuskript, das wir hier vor uns sehen, bin ich allerdings noch nicht ganz fertig. Am Ende des Projekts soll ein vollständiger Katalog der italienischsprachigen Handschriften vorliegen, mit einer umfangreicheren Einleitung, die diesen speziellen Bestand nochmal ausführlicher darstellt und einordnet. Meine Kollegin Anna Katharina Plein und ich bringen außerdem gerade einen Tagungsband heraus, in dem wir einen Aufsatz darüber geschrieben haben (siehe unten).

Passiert es Ihnen, dass Sie mal etwas nicht lesen können?

Ja, dann geben wir uns das gegenseitig in die Hand, sehr oft können wir das lösen. Manchmal hilft es auch, so etwas eine Weile liegen zu lassen, um einen neuen Blick darauf zu haben. Man braucht viel Geduld und eine gewisse Zähigkeit in diesem Job. Es gibt aber auch Passagen, da mussten wir in die Handschriftenbeschreibung den Befund "nicht lesbar" aufnehmen. Oder auch "möglicherweise lesbar als..." Wenn wir transkribieren, transkribieren wir immer 'diplomatisch', das heißt, wir machen deutlich, wo wir welche Abkürzung wie aufgelöst haben u.s.w. Der Nutzer hat schließlich auch das Digitalisat, um sich zu vergewissern: Alles, was wir hinzufügen, machen wir auch kenntlich. 

Wie schätzen Sie das ein: Ist es noch nötig, das Original zur Hand zu nehmen, wenn ein Digitalisat zur Verfügung steht?

Das ist eine gute Frage, über die wir auch immer wieder diskutieren. Ich würde nach wie vor sagen, ein Profi würde immer an die Handschrift gehen, wenn er die Möglichkeit dazu hat, und das hat gute Gründe. Das Digitalisat ist ein enormes Hilfsmittel, das die Forschung sehr forciert und vorangebracht hat, weil Handschriften dadurch so viel leichter und schneller verfügbar sind. Ein noch so gutes Digitalisat kann aber zum Beispiel Palimpseste nicht oder nur ganz bedingt abbilden. Das sind Pergamentblätter, die abgeschabt oder abgewaschen und neu beschriftet wurden - damit können ja spannende Befunde einhergehen. Auch die Art und die Einzelheiten der Bindung werden vom Digitalisat nicht erfasst, daraus kann ich aber zum Beispiel ableiten, ob Teile der Handschrift abhanden gekommen sind. Da, wo solche heiklen Fragen beginnen, da hören die Möglichkeiten des Digitalisats auf.

Jetzt neu erschienen: Anna Katharina Plein/Markus Schürer (Hgg.): Die italienischsprachigen Handschriften der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Neue Perspektiven der Forschung, Dresden 2020. Der Band enthält die Akten der gleichnamigen Tagung, die vom 7. bis 9. November 2018 in Dresden stattfand. Außerdem bietet er einen Aufsatz der beiden Herausgeber, der das Korpus der italienischsprachigen Handschriften der SLUB vorstellt (Sammlungsgeschichte, thematisches Spektrum u.a.). Jetzt zugänglich unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-708522

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