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Al Dante: Die „Göttliche Komödie“ einhundert Mal neu interpretiert

Am Italien-Zentrum der TU Dresden ist kürzlich mit „Al Dante“ eine Video-Blog-Reihe gestartet, die das berühmteste Werk des italienischen Dichters, die Divina Commedia (dt. „Göttliche Komödie“) anlässlich des Dante-Jubiläumsjahres in 100 kurzen Videos auf ganz neue Art präsentieren möchte. Dr. Christoph Mayer, Privatdozent am Institut für Romanistik der TU Dresden und aktuell Gastprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, leitet das Projekt und koordiniert die zahlreichen nationalen und internationalen Beitragenden. Im Interview erzählt er, wie die Idee entstand und was den Dante-Vlog für uns alle interessant macht.

In Ihrem Vlog-Projekt „Al Dante“ interpretieren Studierende, Wissenschaftler:innen und andere Gäste die Gesänge der Divina Commedia. Bei „Gesängen“, oder auf Italienisch canti, denkt man ja erst einmal nicht unbedingt an visuelle Medien: Wieso haben Sie sich entschieden, der zurzeit ja sehr beliebten und für ein solches Projekt sicherlich auch geeigneten Form des Podcasts eine Absage zu erteilen und stattdessen auf den Video-Blog, also Vlog, zu setzen?

Dantes Commedia sollte, so die Ausgangsüberlegung, in vielfältiger Weise einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Podcasts haben für mich selbst immer den Charakter einer Belehrung, der man zuhören muss, also nur mit einem Sinn folgen kann. Die mehrkanalige Erschließung durch Videos erschien mir allerdings deutlich sinnvoller und ermöglicht nun auch den Mitwirkenden, sich breit zu entfalten: klassische literaturwissenschaftliche Interpretationen, kulturhistorische Einbettungen oder sprachhistorische Erklärungen sind genauso möglich wie Rezitationen und künstlerische Umsetzungen. Jeder soll sich multimedial ausdrücken können und das, gerade angesichts unseres mittlerweile täglichen Umgangs mit Video-Konferenzen, in einem doch recht einfach nutzbaren Medium. Hinzu kommt: die canti Dantes sind über die Jahrhunderte immer wieder multimedial erschlossen worden: zunächst wurden sie illustriert, dann sehr breit in der Bildenden Kunst ausgedeutet – am bekanntesten hier vielleicht die Holzstiche von Gustave Doré. Unzählig sind die Interpretationen in Literatur und Musik; besonders beeindruckend aber auch der Palacio Barolo in Buenos Aires und der Palacio Salvo in Montevideo, die beide die Commedia architektonisch umsetzen.

Wann kam Ihnen die Idee zu diesem Projekt? Waren Sie inspiriert davon, dass 2021 das Dante- Jubiläumsjahr ist oder planten Sie schon länger dieses oder ein ähnliches Projekt

Tatsächlich ging es dem Italien-Zentrum darum, uns im Dante-Jahr das bekannteste, aber meist nicht gelesene Werk, die Commedia, näher zu bringen, gerade weil ja auch Dante mit Philalethes und der ersten Übersetzung ins Deutsche sowie der Gründung der ersten Dante-Gesellschaft eine lokale Eigengeschichte aufweisen kann. Der Versuch war dann verführerisch, 100 Videos dazu zu gestalten und damit jedem Canto ein Video zuzuordnen. Gerade weil diese „Interpretation“ Dantes auf den Dante-Lektüren fußt, die seit langem Usus in der Dante-Exegese sind – Expertinnen und Experten lesen und interpretieren Dantes Commedia und vermitteln klassische Bildung. Das sollte aber nun zeitgemäß und postmodern umgesetzt werden, auch nach dem Motto „Anything goes“ – jede Interpretation und Inspiration sind möglich, jeder nach seinem Stil und Gusto.Es geht uns bewusst nicht darum, dass hier technisch höchst professionelle Meisterwerke entstehen. Wichtiger ist uns der Inhalt, die Idee und jeweils eigene Note.

Wissen Sie im Vorfeld, wie die Interpretation der Teilnehmenden aussieht oder sagen Sie lediglich, Sie möchten gern ein 5-minütiges Video zu einem Gesang der Göttlichen Komödie und lassen sich dann überraschen? Und wie wurde ausgehandelt, wer welchen Gesang interpretieren darf?

Tatsächlich möchte ich allen freie Hand lassen und nicht in ihre Interpretationen hineinreden. Es sind persönliche Stellungnahmen, die eben auch zeigen, dass es in der Geisteswissenschaft nicht die eine Wahrheit oder die eine richtige Lösung gibt, sondern wir in der Konfrontation mit anderen Ideen uns weiterentwickeln. Wir haben die Länge des Videos vorgegeben und ansonsten eine Liste mit den Gesängen freigegeben, auf der sich die Beteiligten gleichsam den jeweiligen canto sichern konnten. Nach dem Prinzip „wer zuerst kommt“… .  

Wen möchten Sie mit dem Vlog ansprechen? Ein Fach-Publikum oder möchten Sie damit auch oder vielleicht sogar besonders Laien für Dante begeistern?

Mir selbst haben gerade die Veranstaltungen des Italien-Zentrums immer sehr viel Spaß bereitet, die sich an ein breites Publikum gerichtet haben, das interessierte Laien rund um das studentische Klientel versammelt hat. Dabei war die Bandbreite immer recht groß – wir hatten Veranstaltungen mit Fanclubs von Dynamo Dresden, engagierten uns an der Kinder-Universität, haben den führenden italienischen Punk-Musiker Massimo Zamboni – der übrigens auch bei „Al Dante“ mitwirkt – eingeladen. Interpretationen von Dantes canti gibt es bereits unzählige, auch im Netz und auch bei Youtube. Diese sind aber nahezu alle von erklärendem Charakter und richten sich meist rein an akademische Zuschauerinnen und Zuschauer. Ich wollte durch die größere Bandbreite nicht nur ein breiteres Publikum interessieren, sondern auch zeigen, dass der fast schon ‚heilige‘ Text Dantes für jedermann zugänglich ist und dass jede Lesart interessant sein kann.

Wir müssen auch noch einmal auf Ihre Beziehung zu Dante zu sprechen kommen: Als Romanist kommt man wahrscheinlich schon früh im Studium mit ihm in Berührung, aber nicht jeder Studieninhalt wird zu einer Leidenschaft. Würden Sie sagen, Sie haben eine besondere Leidenschaft für die Divina Commedia entwickelt und wenn ja, was hat Sie so begeistert?

Sicherlich ist Dante einer der Basisautoren der italienischen Literatur. Eine tatsächliche Lektüre erfolgt aber meist dann erst in höherem Semester, da dafür Kenntnisse des Altitalienischen und der mittelalterlichen Geschichte, der Theologie und Philosophie unerlässlich sind. Ich habe Dante eigentlich hier in Dresden mit dem Bezug zu Philalethes und der Lokalgeschichte für mich neu entdeckt, nachdem ich in einem italianistischen Forschungsprojekt zur Dresdner Hofkultur gearbeitet habe. Und als Gründungsmitglied des Netzwerks MIRA / Mittelalter und Renaissance in der Romania fasziniert mich nach wie vor die Fragestellung, wie man heute die klassischen Texte der italienischen Literatur zugänglicher machen kann. Es gibt ja auch Dante-Krimis und Dante-Comics, die unzähligen Monumente und die Existenz von Dante auf der 2-Euro-Münze sind weitere interessante Annäherungspunkte an das Werk, dessen lange Rezeptionsgeschichte, sein Nachwirken in der Kunst und Kultur für mich sehr faszinierend sind. Ich nenne das „immersives literarisches Lernen“.

Bisher sind 15 Videos veröffentlicht. Wie viele Teile kommen noch und gibt es Interpretator:innen, auf deren Beitrag Sie sich besonders freuen?

Das allererste Video ist ja von mir selbst erstellt worden, auch um anderen ein wenig die Scheu zu nehmen. Außerdem arbeite ich noch in Kooperation mit anderen Kolleginnen und Kollegen an weiteren Videos. Im Idealfall erreichen wir die Zahl 100 und können jedem canto ein Video zuordnen, mal stärker inhaltsgebunden, mal freier assoziativ, was z.B. das Video der Wortkünstlerin Marion Neumann zeigt, die deutsche Dante-Zitate rezitiert und mit musikalischer Begleitung eingesprochen hat. Ich bin insgesamt über die große Breite der Mitwirkung sehr erfreut – es gibt etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland, die uns zugesagt haben, wie z.B. der renommierte Berliner Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant oder Fabio Marri von der Universität Bologna. Es gibt künstlerische Beiträge, gerade auch von Studierenden, die sich hier sehr mutig gezeigt haben und sehr viel Energie in ihre Videos gesteckt haben: Scherenschnitte, musikalische Vertonungen, Filmcollagen. Experimentelle Videos wie die des Musikers und Schriftstellers Massimo Zamboni, der eine Fliegenfalle ins Visier nimmt, oder der zeitgenössische Bezug auf die italienische Politik von Andrea Betti liegen bereits vor und faszinieren oder verstören im positiven Sinn. Ich freue mich persönlich aber wirklich auf alle Beiträge und möchte das Projekt dann auch im Oktober 2022 auf einer internationalen Tagung an der Villa Vigoni retrospektiv einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen.

Können Sie sich vorstellen, in der Zukunft ähnliche Projekte zu anderen Autor:innen oder Werken anzustoßen oder soll „Al Dante“ eine einmalige Sache bleiben?

Meine ursprüngliche Idee war es, eine kleine Literaturgeschichte, also Videobeiträge zu italienischen Autorinnen und Autoren, v.a. zu denen aus den weiter zurückliegenden Epochen Mittelalter und Renaissance zu gestalten. Vielleicht lässt sich dies auf der Basis dieses Dante-Projekts auch realisieren und anbinden an die Publikation eines Handbuchs „Mittelalter und Renaissance in der Romania“, das in Buchform im nächsten Jahr beim Peter-Lang-Verlag erscheinen wird und danach in einer umfangreicheren E-Book-Fassung auch solche Darstellungen integrieren könnte.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hier finden Sie die Video-Blog-Reihe „Al Dante“.

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