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NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut: SLUB Dresden und vier weitere deutsche Kultureinrichtungen restituieren 221 Bücher an die Nachfahren von Henry Torrès

Fünf deutsche Kultureinrichtungen haben am 26. Juni 2025 in Paris den Nachfahren des bekannten französischen Anwalts, Journalisten und Politikers Henry Torrès (1891–1966) 221 Bücher übergeben. Die Bücher hatten Torrès oder einer seiner beiden Ehefrauen gehört. Sie konnten ihnen aufgrund der enthaltenen Widmungen zugeordnet werden.

mehrere alte Bücher nebeneinander stehend, davor liegen  drei weitere Bücher, zwei davon sind aufgeschlagen und mit handschriftlichen Bemerkungen versehen

Bücher aus der Bibliothek Torrès, Fotograf:in: unbekannt, 2025 (Foto: Staatsbibliothek zu Berlin)

Henry Torrès (1891–1966)

Der in Les Andelys in der Normandie geborene Henry (auch: Henri) Torrès stammte aus einer jüdischen Familie und war seit seiner Jugend politisch aktiv: Er kandidierte für verschiedene kommunistische Gruppierungen, verteidigte Aktivisten und war journalistisch für L'Humanité, die Zeitung der Kommunistischen Partei Frankreichs, tätig.

Bekannt wurde Torrès nach dem Ersten Weltkrieg als Anwalt zahlreicher gesellschaftlicher sowie politischer Prominenter. Zu seinen größten Erfolgen zählt die Verteidigung von Scholom Schwartzbard im Jahr 1927. Schwartzbard (1886–1938) hatte den ehemaligen ukrainischen Präsidenten Symon Petlioura, der in Paris im Exil lebte, auf offener Straße erschossen, weil er ihn für die Pogrome in der Ukraine verantwortlich machte, bei denen er seine Familie verloren hatte. Henry Torrès erwirkte mithilfe von 80 Zeugen der Pogrome einen spektakulären Freispruch für Schwartzbard. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war er weit über Frankreich hinaus bekannt.

 

Torrès war von 1919 bis 1928 mit der ebenfalls jüdischen Jeanne, geb. Levylier, verheiratet, die später als Schulgründerin und letzte Ehefrau des französischen Präsidenten Léon Blum bekannt wurde. Von 1930 bis 1948 war Torrès mit der Widerstandskämpferin Suzanne, geb. Rosambert, verheiratet, die nach der Trennung den französischen General Jacques Massu heiratete.

Henry Torrès stand wegen seiner jüdischen Herkunft und aufgrund seiner anwaltlichen und politischen Tätigkeiten im direkten Fokus der deutschen Besatzer. In seiner Autobiographie berichtet er, dass seine Wohnung in der Avenue Hoche 38 unmittelbar nach der Besetzung von Paris 1940 und erneut im März 1941  durchsucht wurde und umfangreiche Beschlagnahmen stattfanden.

Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs arbeitete Torrès im Ministère de l’information der französischen Regierung. Infolge der deutschen Besetzung musste er diese Stellung aufgeben und floh schließlich in die USA. Dort lehrte er Strafrecht an der juristischen Fakultät der École Libre des Hautes Études Françaises in New York und war als Schriftsteller und Journalist aktiv. Im November 1945 kehrte er nach Frankreich zurück und vertrat von 1948 bis 1958 die von De Gaulle gegründete RPF-Partei (dt.: Sammlungsbewegung des französischen Volkes) im Senat des Departement Seine. Am 4. Januar 1966 verstarb Henry Torrès in Paris.

 

Provenienzwege der Bücher aus der Sammlung Torrès

Bei den 221 in deutschen Einrichtungen identifizierten Exemplaren der Provenienz Torrès handelt es sich um Werke, die ihm bzw. ihm und seinen Partnerinnen vornehmlich in den 1920er und 1930er Jahren von den jeweiligen Autorinnen und Autoren, mit entsprechenden handschriftlichen Widmungen versehen, geschenkt wurden. Meist handelt es sich dabei um politische und historische Publikationen, es sind aber auch belletristische Werke und Theaterstücke vertreten. Teils stammen die Werke von jüdischen Autoren, einige weisen einen Bezug zur kommunistisch-patriotischen Grundhaltung des Empfängers auf. Häufig sprechen die Widmungsgeber Torrès als persönlichen Freund an.

Der größere Teil der jetzt identifizierten Bücher wurde ab 1960 von der Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände (ZwA) an verschiedene Bibliotheken verteilt: Die zehn Exemplare aus der SLUB Dresden wurden in den Jahren 1979 bis 1982 über die ZwA erworben. Die ZwA war in der DDR die zentrale nicht-kommerzielle Stelle zur Verteilung von Bibliotheksgut wie etwa Dubletten. Darunter befand sich auch NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut (NS-Raubgut), das auf diesem Wege nach 1945 weiterverteilt wurde.

 

Gemeinsame Restitution

 

Mehrere deutsche Bibliotheken waren an der Restitution beteiligt: 95 Bände stammen aus der Staatsbibliothek zu Berlin, 93 Bände aus dem Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL). Hinzu kommen weitere 33 Bücher aus der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, der Universitätsbibliothek Rostock und der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz. Für die Identifikation der Bücher waren die Erkenntnisse aus dem an der Staatsbibliothek zu Berlin durchgeführten Forschungsprojekt „NS-Raubgut nach 1945: Die Rolle der Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände (ZwA)“ ausschlaggebend.

 

 

Nachdem die ersten Bücher zugeordnet worden waren, wurde anhand der zentral erfassten Provenienzdaten und der im ProvenienzWiki hinterlegten Informationen rasch deutlich, dass mehrere Kultureinrichtungen betroffen waren. Das Provenienzforschungsteam der Staatsbibliothek zu Berlin hat die Vorbereitung für die gemeinsame Restitution übernommen. Es wurde dabei von der Commission pour la restitution des biens et l’indemnisation des victimes de spoliations antisémites (CIVS) unterstützt, mit der seit einigen Jahren wiederholt in Restitutionsfragen zusammengearbeitet wird. Wichtig waren dabei sowohl für die Forschung relevante inhaltliche Aspekte und die Herstellung des Kontaktes zu den Erbinnen sowie die Begleitung der Umsetzung der Restitution.

Die restituierten Werke der SLUB Dresden
1. Jouve, Jean-Pierre: Toscanes. [Florence], 1921., Link zum SLUB-Online-Katalog
2. Brion, Marcel: Frédégonde et Brunehaut. Paris, 1935., Link zum SLUB-Online-Katalog
3. Cassou, Jean: Pour la poésie, Paris, 1935., Link zum SLUB-Online-Katalog
4. Desnos, Robert: Corps et biens. Paris, 1930., Link zum SLUB-Online-Katalog
5. Carco, Francis: L ' homme de minuit. Roman. Paris, 1938., Link zum SLUB-Online-Katalog
6. Benoit, Pierre: Monsieur de la ferté. Roman. Paris, 1934., Link zum SLUB-Online-Katalog
7. Boileau, Pierre: La Promenade de minuit. André Brunel, Policier. Roman policier. Paris, 1934., Link zum SLUB-Online-Katalog
8. Vidal, Georges: Han Ryner: l'homme et l'oeuvre. Paris, 1924 (Collection des éscrits subversifs, 4)., Link zum SLUB-Online-Katalog
9. Cendrars, Blaise: Histoires vraies. Paris, 1938., Link zum SLUB-Online-Katalog
10. Salacrou, Armand: Théatre: la terre est rond. Paris, 1938., Link zum SLUB-Online-Katalog

 

FALLDOSSIER ZUR PROVENIENZ HENRY TORRÈS AN DER SLUB DRESDEN

Die Fallrecherchen zur Provenienz Henry Torrès an der SLUB Dresden erfolgten im Rahmen des Provenienzforschungsprojektes „NS-Raubgut in der SLUB: Erwerbungen nach 1945“ (2017-2020), das von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste gefördert wurde.

 

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