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Wer denn noch? Neues Rechercheportal präsentiert Forschungsergebnisse zu Sammlungsmitarbeiter*innen 1933–1945 (Gastbeitrag)

Welche Rolle spielten die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft im Nationalsozialismus? Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) erforschten ihre Vergangenheit und entwickelten ein Tool, das Auskunft über ihre früheren Mitarbeiter*innen gibt.

Das neue Online-Rechercheportal „Sammlungsmitarbeiter*innen 1933–1945“ informiert auch über das ehemalige Personal der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek. Es ermöglicht die Suche nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden während der NS-Zeit, zu denen neben der Sächsischen Landesbibliothek, die damals im Japanischen Palais untergebracht war, die kunst- und kulturhistorischen sowie die naturhistorischen Museen zählten, und gibt Auskunft über deren Lebensdaten und ihre beruflichen Funktionen. Unterschiedliche Filter ermöglichen die sammlungsbasierte, positions- wie zeitorientierte und geschlechterspezifische Suche in diversen Kombinationen.

 

 

Bereitgestellt wird dieses Tool von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die in einem dreijährigen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt unter der Leitung von Gilbert Lupfer den institutionellen Aufbau, die Personalstruktur und wissenschaftliche Tätigkeit ihrer Vorgängerinstitution, der Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft, eines der größten Museumsverbünde Europas, erforschten. Leitgedanken bildeten dabei die Frage nach den Auswirkungen der nationalsozialistischen Ideologie sowie jene nach der Kontinuität oder den Brüchen in der Tätigkeit der Institutionen einerseits und in den Biografien der Protagonisten andererseits. Das zum Projektabschluss erschienene Buch „Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus“ enthält unter anderem 90 Biografien, darunter jene von 24 Wissenschaftlichen Bibliothekaren und Angestellten des Mittleren Bibliotheksdienstes.

Einige dieser Persönlichkeiten seien hier vorgestellt:

 

Martin Bollert (1876–1968) war ab 1920 Direktor der Sächsischen Landesbibliothek. Unter seiner Leitung wandelte sich die Bibliothek, insbesondere durch den Um- und Ausbau des Japanischen Palais von 1927 bis 1935, von einer Gelehrtenbibliothek in eine der modernsten Bibliotheken in Deutschland. 1937 ließ sich Bollert, der nicht in die NSDAP eingetreten war, vorzeitig in den Ruhestand versetzen.

 

Hermann Neubert (1892–1980), der seinen Dienst in der Landesbibliothek bereits 1919 als Volontär begonnen hatte, übernahm, nachdem er in die NSDAP eingetreten war, im Sommer 1937 die Kommissarische Leitung der Bibliothek. Erst zwei Jahre später wurde er zum Direktor ernannt, der er bis Oktober 1945 blieb.

Nur wenige Monate nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, im August 1933, wurden die Bibliotheksangestellten des Mittleren Dienstes Anna Löwenthal (1902–1967) und Lucie Walter (1895–ca.1961) aufgrund ihrer jüdischen Abstammung entlassen. Beide hatten in die Personalfragebögen, die sie infolge des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 ausfüllen mussten, nur jeweils den Satz „Ich bin Jüdin“ eingetragen. Löwenthal konnte Ende November 1938 nach New York emigrieren. Walther wanderte nach Palästina aus, ihre Eltern wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Die fragmentarischen Überlieferungen, hinter denen bislang zwei verschiedene Personen vermutet wurden, konnten nun zu einer Biografie zusammengefügt werden: Es handelt sich um Ulrich Dähnert (1903–1999). Er arbeitete von 1936 bis zu seiner Einberufung zum Militärdienst 1942 als Wissenschaftlicher Bibliothekar an der Landesbibliothek. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er kurzzeitig an die Bibliothek zurück, wurde aber im November 1945 aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft entlassen. In den Folgejahren entwickelte sich Dähnert zum Spezialisten auf dem Gebiet der Geschichte des sächsischen Orgelbaus, wodurch er ab 1952 als erster Orgelsachverständiger für das sächsische Landesamt für Denkmalpflege tätig wurde.

Mit der neuen Recherchemöglichkeit, die Auskunft über 90 Personen gibt, lässt sich auch entdecken, wie viele Frauen in der NS-Zeit als Wissenschaftlerinnen in den Sammlungen tätig waren …

Literatur

Karin Müller-Kelwing: Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus. Hg. von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und Gilbert Lupfer. Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2020.

Katrin Nitzschke: Bollert, Martin. In: Sächsische Biografie, 2012, Online-Ausgabe: http://saebi.isgv.de/biografie/Martin_Bollert_(1876-1968)

Konstantin Hermann: Die sächsische Landesbibliothek 1933–1945. Martin Bollert und Hermann Neubert – zwei Epochen in zwölf Jahren? In: Michael Knoche / Wolfgang Schmitz (Hg.): Wissenschaftliche Bibliothekare im Nationalsozialismus. Handlungsspielräume, Kontinuitäten, Deutungsmuster, Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens, Bd. 46, Wiesbaden 2011, S. 289–308.

Konstantin Hermann: Die sächsische Landesbibliothek in der nationalsozialistischen Zeit. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte, 80, 2009, S. 277–290.

Hans Dieter Wüstling: Neubert, Hermann Rudolf. In: Sächsische Biografie, 2009, Online-Ausgabe: http://saebi.isgv.de/biografie/Hermann_Neubert_(1892-1980)

Thomas Bürger: Dresdner Bibliothekare – emigriert, geflohen, geblieben. Briefe der Nachkriegszeit aus dem Nachlaß von Ewald Jammers (Teil 2). In: SLUB-Kurier, 21. Jg., 2007, 2, S. 13–15.

Thomas Bürger / Konstantin Hermann (Hg.): Das ABC der SLUB. Lexikon der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Dresden 2006.

Abbildungen

  • Gruppenfoto: Das Personal der Sächsischen Landesbibliothek im Innenhof des Japanischen Palais, 1932, Fotograf: Hermann Bähr
    (1.R.v.l.n.r.: Gottfried Benndorf, Walther Frieser, Jacob Jatzwauk, Hubert Richter, Martin Bollert, Otto Fiebiger, Bruno Faas, Karl Assmann, Hans Hofmann; 2.R.4.v.l.: Charlotte Boden; 3.R.4.v.l.: Lucie Walter; 4.R.v.l.: Helmut Schneider (2.), Charlotte Holzhausen (4.); 5.R.v.l.: Margarethe Storch (3.), Ewald Jammers (4.))
    ©SLUB / Deutsche Fotothek / Hermann Bähr
  • Bollert, Walter: Ausschnitt aus df_hauptkatalog_0284440
  • Dähnert: SLUB, PA Dähnert
  • Neubert: SLUB
  • Löwenthal: Anna Löwenthal, Absichtserklärung für die Einwanderung in die USA, 17.5.1939, "New York, Southern District, U.S District Court Naturalization Records, 1824-1946", database, (https://familysearch.org/ark:/61903/1:1:QP7X-8N52, Zugriff: 31.5.2018), Anna Loewenthal, 1939; citing Immigration, New York, United States, 280350, NARA microfilm publication M1972, Southern District of New York Petitions for Naturalization, 1897-1944. Records of District Courts of the United States, 1685 - 2009, RG 21. National Archives at New York

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