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„Beim Fotografieren bin ich nur Auge.“ Rudi Meisels Werk kommt in die Deutsche Fotothek & wird in der Bib-Lounge gezeigt
Auch wenn er sich selbst nicht in der Tradition der Street Photography sieht, ist Rudi Meisels Interesse am Leben, wie es sich seiner Kamera im öffentlichen Raum – den Straßen, Plätzen, U-Bahnstationen, Lokalen und Geschäften – darbietet, doch augenscheinlich. Die Momentaufnahmen, überwiegend in Schwarzweiß, punktuell auch in Farbe, funktionieren immer als Einzelbild, doch verbinden sie sich in der seriellen Zusammenstellung zu dichten visuellen Beschreibungen von Gesellschaft, die immer auch Analyse sind.
Die Ausstellung Autorast 1971 in der Bib-Lounge der SLUB bietet Einblick in eine von Rudi Meisels frühesten Arbeiten. Sie entstand 1971 – damals war er noch Student – auf Rastplätzen an der A 3 südlich von Köln. Mit dem zeitlichen Abstand von mehr als 50 Jahren und im Hinblick auf das, was danach folgte, kommentiert er:
„Die Schwarzweißfotografien berichten von einer anderen Zeit, nicht von einem anderen Land; die Menschen benehmen und bewegen sich anders, das Design der Autos und die Freizeitkleidung waren schon modisch, was mir damals kaum aufgefallen war. Bestimmt war auch ich im Alter von 22 unsicher und unerfahren, jedenfalls mehr als heute. Meistens hatte ich Schönheit und Glück im Sucher, wie Thomas Hoepker auf sein Lebenswerk blickend neulich sagte. Ich denke, dass ich immer noch genauso fotografiere, mit dem gleichen Blick auf ähnliche Themen, mich also fotografisch kaum weiterentwickelt habe – Sammler und Kuratoren schmeicheln mir, ich hätte mein Talent und Werkzeug früh gefunden. Unterwegs beobachte ich immer noch gerne Menschen auf großstädtischer Bühne, also Freizeit, Mensch und Auto, Konsum und Langeweile, mit jetzt über 70 sicherlich auch mit der Erkenntnis von Vergänglichkeit.“
Mit einem Weitwinkelobjektiv, „fast übergriffig nah“, wie er selbst sagt, hat er Menschen im öffentlichen Raum fotografiert, Aufnahmen, die in dieser Form heute nicht mehr ohne schriftliches Einverständnis der Fotografierten möglich wären, aber:
„Robert Doisneau, Willy Ronis und Henri Cartier-Bresson haben das menschliche Nachkriegs-Paris der 1950er und 1960er Jahre in unser kollektives Gedächtnis eingeschrieben. Solche Bilder kann man nicht mit Model-Releases erreichen.“
Über seine Arbeitsweise, als Form der Begegnung und zwischenmenschlichen Kommunikation, sagt er:
„Mich interessieren Menschen. Meine Annäherung ist wortlos, ich beobachte genau und suche meine Bilder mit den Augen, bis dahin weiß ich oft nicht, welche Sprache gesprochen wird. Beim Fotografieren bin ich nur Auge, bewege mich ruhig und bin immer als Fotograf zu erkennen, also mit einer Kamera in der Hand oder umgehängt. Niemals aus der Hüfte zu ,schießen‘ ist für mich eine Frage der Haltung, ich zeige offen, dass ich fotografieren will und trickse nicht rum. Selten erbitte ich eine Mail-Adresse, um ein Bild zu schicken.“
Seit den späten 1970er Jahren war Rudi Meisel regelmäßig als einer der ersten westdeutschen akkreditierten Bildjournalisten in der DDR für das ZEITmagazin tätig, mit Aufenthalten auch in Dresden:
„Dresden kannte ich bis dahin nicht. Ein See oder breiter Fluss in der Stadt, ob die Alster in Hamburg, der Pfaffenteich in Schwerin, die Rheinbögen in Köln und Düsseldorf, die Newa in St. Petersburg – so war mir die Elbe vom Blauen Wunder bis zum Ostragehege (an Caspar David Friedrich denkend) in Dresden ein Geschenk der Natur, wenn man in der Stadt einen Blick AUF die Stadt hat. Hinzu kam, dass ich Dresden einen Gang langsamer erlebte als das geschäftige Leipzig und erst recht Berlin. Ich erinnere mich gern an eine Portraitreportage über Gerhard Kettner, Professor und Rektor der Hochschule für Bildende Künste 1982, über Manfred von Ardenne, Erfinder und Medizintechniker, über einen Baumkuchenbäcker am Weißen Hirsch und an den auf mich angesetzten, begleitenden Stasi-Mann, zugleich ein sympathischer Kulturerklärer, mich nicht agitierend, der mir nach der Deutschen Einheit bei einem Treffen erzählte, dass er für seine freundlichen, kurzen und zu wenig ausforschenden Berichte über mich von der Staatssicherheit mehrmals gerügt wurde und Erwartetes nachliefern musste. Bei unserem letzten ,Arbeits‘-Treffen in der DDR schenkte er mir Victor Klemperers LTI – ich würde ihn gerne wiedersehen.“
Die Aufnahme von Rudi Meisels Werk in das Archiv der Fotografen der Deutschen Fotothek geht einher mit dessen wissenschaftlicher und konservatorischer Betreuung und Aufarbeitung sowie der digitalen Langzeitarchivierung im Kontext einer Sammlung von rund 6 Millionen Fotografien.
„Solch einen neugierigen Blick, solch sorgfältigen Umgang mit analogen wie digitalen Fotomaterialien, solch genaue Einordnung meiner Fotografie hatte ich mir in den letzten Jahren immer mehr gewünscht, wusste nur nicht wo. Von F. C. Gundlach, mit dem ich einige Male Bilder getauscht hatte, erreichte mich Ahnungslosen der erste Hinweis auf die Fotothek in Dresden. Wenige Jahre später kam der Chef Jens Bove ins Spiel und zu mir nach Berlin. Ich hatte noch viele Fragen, den Rest sollte er erzählen. Mit dem Erreichen meines Heimathafens Deutsche Fotothek werde ich im Dialog mit Agnes Matthias Neues aus meinen letzten 50 Jahren Fotografie entdecken und die einzelnen Konvolute weiter auffüllen. Ich freu mich drauf!“
Alle Fotografien, sofern nicht anders ausgewiesen: © Deutsche Fotothek/Rudi Meisel
Mehr zum Werdegang und Schaffen Rudi Meisels, zur Übernahme seines Werkes in die Deutsche Fotothek und zur aktuellen Ausstellung lesen Sie auch hier.
Zur Ausstellung ist eine Publikation in Form einer Archivbox erschienen. Eine auf 25 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe enthält zusätzlich einen von Rudi Meisel signierten Schwarzweißprint auf Barytpapier im Format 15 × 21 cm (10 € / 150 €). Beides ist zu beziehen über: www.slubdd.de/autorastpublikation
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