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Wie verändert der Krieg unser Verständnis der russischen Kultur?

Während die Streichung von Tschaikowski aus dem Programm von Opern- und Konzerthäusern von sich reden macht, verteidigt das PEN-Zentrum die russische Kultur mit der Devise „Der Feind heißt Putin, nicht Puschkin“. Doch wie gehen wir mit der Frage nach der Rolle der Kultur und Kulturgeschichte um, wenn der Aggressor selbst sich in seiner Ideologie auf eben diese Kultur beruft und seinen Krieg im Namen der sogenannten Russischen Welt führt? Nach den Massakern von Butscha hat sich das Problem noch einmal verschärft.

Der Kulturhistoriker und Publizist Gasan Gusejnov (FU Berlin), der Osteuropahistoriker Leonid Luks (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) und die Kulturwissenschaftlerin Marina Scharlaj (TU Dresden) stellen sich am 11. April in Impulsvorträgen und in der Diskussion diesen Fragen und haben dazu jeweils eine These entwickelt:

Gasan Gusejnov (FU Berlin)

Kultur muss ganzheitlich verstanden werden

Um die russische Kultur zu verstehen, ist ein holistischer (ganzheitlicher) Blick notwendig, in dem die Kultur nicht auf Tolstoi und Tschaikowski reduziert wird, sondern politische bzw. unpolitische Kultur und Gegenkultur breiter erforscht werden. Dazu gehört auch, den grundsätzlichen, in Westeuropa kaum verstandenen Groll vieler Russinnen und Russen gegen ›den Westen‹ zu begreifen, und schließlich den kolonialen Charakter der russischen Kultur, der sich bis in die Wissenschaften fortsetzt, zu überwinden: Tataren und Baschkiren und viele andere Völker sind keine ›Russen‹, und wen hat eigentlich jemals interessiert, wie die ukrainisch-sprachige Minderheit in Russland lebt?

Marina Scharlaj (TU Dresden)

Die russische Kultur spaltet sich

Populäre wie populistische, militärisch dominierte und von der orthodoxen Kirche gestützte Kulturdiskurse, die auf patriotische Mobilisierung abzielen und Kritik ausschließen, wirken identitätsstiftend und schaffen Affirmation für das System. Der im Krieg gegen die Ukraine entfesselte ›Raschism‹ (russischer Faschismus) zeigt auf, wie Russland Opfer seiner eigenen Propaganda wird und die russische Kultur sich dabei immer mehr spaltet: während sie im staatlichen Sektor weiterhin als machtstabilisierendes und manipulatives Instrument benutzt wird, erschüttert ihr nonkonformistischer Teil die ›traditionellen‹ Werte und imperialen Einstellungen.

Leonid Luks (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)

Im innerrussischen Diskurs sind die Würfel noch nicht gefallen

Mit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und seiner rücksichtslosen Machtpolitik im Namen sakralisierter nationaler Interessen läuft Russland erneut Gefahr, den Anschluss an die Moderne zu verlieren. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Russland nicht nur über nationalistisch-imperiale, sondern auch über freiheitliche Traditionen verfügt, deren Zielsetzungen in der Geschichte keineswegs so utopisch waren, wie dies auf den ersten Blick immer wieder zu sein schien. So sind die Würfel im innerrussischen Diskurs keineswegs endgültig gefallen. Das Ringen um die Zukunft des Landes geht unvermindert weiter.

Im Anschluss an die Impulsvorträge sollen diese Thesen in einem Podiumsgespräch weiterdiskutiert werden, in dessen Verlauf auch Publikumsfragen beantwortet werden können.

Die Veranstaltung findet am Montag, den 11.04.2022 um 18:00 Uhr im Klemperer Saal der SLUB statt. Zur Anmeldung geht es hier.

Keine Zeit vor Ort zu sein? Verfolgen Sie die Diskussion im Live-Stream

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