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Neue Fotografien aus dem Land des Lächelns
„Diese Region, an der die Weltgeschichte doch eher vorbei wabbert, (bis auf Dr. Oetker und das Hermannsdenkmal), die mir ein Zuhause während des Studiums gab, ist typisch Deutsch. Und damit ein guter Spiegel für das Leben im Alltag.“ [1]
Neben diesen großartigen Straßen-Fotografien aus den 1980er Jahren enthalten die ersten 2.000 jüngst in unserer Bilddatenbank publizierten Aufnahmen von Martin Langer zahlreiche preisgekrönte Serien für SPIEGEL, STERN oder das ZEIT-Magazin, aber auch einige in Eigenregie, teilweise über Jahrzehnte entstandene Foto-Essays wie die bedrückende Marienborner Elegie (seit 1991).
Marienborn ist einer der ältesten Wallfahrtsorte Deutschlands. Doch bekannt ist der Ort für etwas anderes: Anfang der siebziger Jahre wurde Helmstedt-Marienborn für 70 Millionen Ost-Mark zur wichtigsten Grenzübergangsstelle zwischen Ost und West ausgebaut, in der zuletzt fast 1.000 Grenzsoldaten, Zöllner, Stasimitarbeiter und Zivilangestellte ihren Dienst taten.
Den westdeutschen Fotografen Martin Langer zieht es in der Nachwendezeit immer wieder an diesen Ort, der wie kaum ein anderer von den radikalen gesellschaftlichen Umwälzungen gezeichnet ist. Der Fotograf ist fasziniert von dem, was er vorfindet: verwüstete Grenzanlagen, triste Kasernen. Der Leere der Gebäude steht eine innere Leere der Dorfbewohner gegenüber, die sich nur schwer in der neuen Zeit zurechtfinden. Immer wieder durchstreift der Fotograf die Region, lernt die Einheimischen kennen, steht mit ihnen auf dem Fußballplatz, beim Schlachten oder in der Kneipe. Die Alten warten auf den mobilen Tante-Emma-Laden, die Jungen darauf, dass irgendwas passiert. Seine Bilder geben die Psychologie jener Zeit subtil und stimmig wieder. In ihrer Tragikomik bildet die Marienborner Elegie ein breites Panorama exemplarischer Schicksale ab. [2]
Neben weiteren eindrucksvollen sozial-dokumentarischen Essays wie An der Wohlstandsgrenze (1991/92) oder Schönberg (2000) sind zahlreiche politisch engagierte Reportagen wie Wewelsburg ist überall, 1990 im ZEIT-Magazin publiziert, entstanden. Seit 1984 arbeitet Langer neben Zeitschriften und Verlagen auch für Organisationen wie Robin Wood und Greenpeace. Für seine Fotodokumentation über die Einnahme der Öl-Plattform Brent Spar durch die Umweltorganisation Greenpeace erhielt er 1995 den Fuji Euro Press Photo Award.
Seine bekannteste Aufnahme stammt aus einer im Auftrag des SPIEGEL fotografierten Serie über die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992. Das Bild zeigt einen Arbeitslosen, bekleidet im Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft mit schwarz-rot-goldenen Applikationen sowie einer mutmaßlich urinbefleckten Jogginghose, der die rechte Hand zum Hitlergruß erhob. Die hundertfach veröffentlichte Fotografie gilt als Sinnbild des „hässlichen Deutschen“ und ist eine der Ikonen der Nachkriegsfotografie.
Eine nur scheinbar gegenläufige Konstante im Werk Martin Langers ist der ausgeprägte Sinn für fotografischen Humor, den er bereits während seines Studiums der visuellen Kommunikation mit dem Schwerpunkt Bildjournalismus an der FH Bielefeld entwickelte und zusammen mit Ernst Volland, unterstützt durch seine Professoren Jürgen Heinemann und Jörg Boström, kultivierte. Der 1984 publizierte Ausstellungskatalog „Kurios und Gnadenlos. Fotosatire heute“ ist ein Standardwerk zum Thema. „Martin Langer ist ein Freund der Komik im vermeintlich Profanen“, schrieb Jana Kühle im Fotomagazin (11/2017). Ein Musterbeispiel dafür ist die 1996 anlässlich der Fußball-Europameisterschaft für das ZEIT-Magazin entstandene, preisgekrönte Serie Tipp-Kick. Dass seine Fotografien gleichermaßen still und schrill sein können, zeigen bereits seine frühesten Aufnahmen aus London (1978ff.).
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1 Kommentar(e)
Moin aus Hamburg.
Das war ja eine schöne Überraschung, vielen Dank für diese wohlwollende Kritik!!
M.