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Der Mann, der das Geheimnis der Maya-Hieroglyphen lüftete: Yuri Knorozov und seine unglaubliche Entdeckung

Wussten Sie, dass die Entschlüsselung der Maya-Hieroglyphen mit einem sowjetischen Ägyptologen und einem Mythos aus dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist? Heute, an seinem Geburtstag, werfen wir einen Blick auf das außergewöhnliche Leben und die Arbeit von Yuri Knorozov – und räumen mit einer Legende auf.

Yuri Valentinovich Knorozov wurde am 19. November 1922 in der Ukraine geboren und revolutionierte die Wissenschaft durch die Entzifferung der Maya-Schrift, die Jahrhunderte lang ein Mysterium geblieben war. Trotz anfänglicher Skepsis gegenüber seinen Theorien, vor allem im Westen, setzte sich seine Methode letztendlich durch. Besonders seine Forschungsarbeit zum Maya-Codex, der in der SLUB Dresden aufbewahrt wird – einer von weltweit nur vier erhaltenen Handschriften der Maya – brachte ihm weltweite Anerkennung ein. Aber wie kam es überhaupt dazu, dass ein sowjetischer Forscher die schriftlichen Geheimnisse einer Tausende von Kilometer und Jahrhunderte entfernten mittelamerikanischen Kultur lüftete? 

Der Mythos der brennenden Bibliothek

Eine Geschichte hält sich hartnäckig: Knorozov soll während des Zweiten Weltkriegs als sowjetischer Soldat in Berlin die entscheidenden Unterlagen gefunden haben. Michael Coe, Anthropologe und Altamerikanist, beschreibt in seinem 1992 erschienen Buch „Breaking the Maya-Code“, Knorozov sei im Mai 1945 als Soldat der sowjetischen Armee auf die brennende Staatsbibliothek in Berlin gestoßen. Aus dem Chaos heraus soll er ein Buch gerettet haben – ganz zufällig eine Edition der Maya-Kodizes aus Dresden, Paris und Madrid. Dieses Buch soll ihm später als Grundlage gedient haben, die Schrift der Maya zu entschlüsseln.

Wahrheit oder Missverständnis?

So spannend und heroisch diese Erzählung klingt, so wenig entspricht sie den Tatsachen. Die Berliner Preußische Staatsbibliothek stand im Mai 1945 nicht in Flammen, ihre Bestände waren zudem seit 1941 ausgelagert. Auch Knorozov selbst bezeichnete die Darstellung Coes als Missverständnis. Knorozov, der unter gesundheitlichen Problemen litt, war nie Soldat einer kämpfenden Einheit gewesen, tatsächlich verbrachte er die Kriegsjahre in Moskau und fand die entscheidenden Manuskripte dort.

Revolutionäre Entschlüsselung

Seine erste Arbeit zum Thema verfasste Knorozov im Jahr 1947. Darin beschäftigte er sich mit dem sogenannten „Landa-Alphabet“, einer Aufzeichnung des spanischen Bischofs Diego de Landa aus dem 16. Jahrhundert, in der dieser versuchte, die Maya-Hieroglyphen in das spanische Alphabet zu übertragen (siehe Abbildung oben). De Landas Darstellung war jedoch widersprüchlich und unklar; es gab beispielsweise mehrere Varianten für einige Buchstaben. Diese Unstimmigkeiten wusste Knorozov 1952 in einer bahnbrechenden Arbeit zu erklären: Seine These lautete, dass die Schrift der Maya zwar nicht alphabetisch war, aber dennoch Laute und Wörter repräsentierte. Damit widersprach er vorherrschenden wissenschaftlichen Ansichten seiner Zeit, wonach das Schriftsystem der Maya lediglich metalinguistische bzw. stumme Ideen darstellte.

Knorosov identifizierte drei grundlegende Schriftsysteme – alphabetisch, syllabisch und logographisch – und eine ungefähre Anzahl der Zeichen, die jedem dieser Systeme zugeordnet werden können: ca. 30 für das Alphabet, 80–100 für die Silbenschrift und mindestens 5000 für die logographische Schrift, die ganze Wörter bzw. Bedeutungen abbildet. Durch die Analyse der ihm vorliegenden Maya-Handschriften ermittelte er 355 Schriftzeichen. Aus dieser Zahl schloss er, dass die Maya-Schrift logosyllabisch war, das heißt, eine Mischung aus Silbenzeichen und Logogrammen, ähnlich den Systemen in Japan und Ägypten. Trotz anfänglicher Kritik fanden Knorozovs Ideen zunehmend Anerkennung.

Heute, an seinem Geburtstag, erinnern wir uns an den Mann, der dieses eine große Rätsel der Maya-Schrift knackte. Doch wer war Knorozov eigentlich?

Ein Ausnahmetalent trotz widriger Umstände

Yuri Knorozovs Leben war geprägt von den Herausforderungen seiner Zeit. 1922 in einer Intellektuellenfamilie in Charkiw geboren, überlebte er die Hungersnot der 1930er Jahre in der Sowjetukraine. Während der Besatzung durch die Wehrmacht setzte er sein Geschichtsstudium nicht fort, zu dieser Zeit sind kaum Informationen über sein Leben bekannt. Nach der Besatzung zog er nach Moskau und entdeckte dort seine Leidenschaft für Ethnographie. Aufgrund des Verdachts, die Bewohner der ehemals besetzten Gebiete hätten mit den Nazis kollaboriert, legten ihm die sowjetischen Behörden Steine in den Weg seiner wissenschaftlichen Karriere und verwehrten ihm Auslandsreisen. Er kommentierte sich selbst deshalb scherzhaft als „typisches Kind der Stalinzeit.“

Knorozov war bekannt für seine exzentrische Persönlichkeit, sein äußeres Erscheinungsbild unterstrich diese Besonderheit. In einem seiner berühmtesten Porträts hält er eine seiner geliebten Katzen im Arm, die er als lebenslange Gefährtin betrachtete und die er in einigen Veröffentlichungen als Co-Autorin anführte. Sein unkonventionelles Auftreten zeugte von einem freien Geist, der sich letztlich auch in seiner Herangehensweise an die alten Schriftsysteme widerspiegelte. Damit hinterließ er ein Vermächtnis, das weit über die wissenschaftliche Welt hinausreicht.

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