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Zwei Quellen, viel Futter für die Forschung – Annaberger Chorbücher digital

Als besonders wichtige Saxonica zur Kirchenmusik im 16. Jahrhundert gelten die beiden „Annaberger Chorbücher“, die als kirchliche Gebrauchshandschriften faszinierende Einblicke in die Musikpflege im Reformationszeitalter geben. Nun konnten die Bände, die zu den besonderen Schätzen der Musikabteilung gehören, im Rahmen des Landesdigitalisierungsprogramms digitalisiert werden. Ab sofort steht ihre elektronische Version der Öffentlichkeit in den Digitalen Sammlungen der SLUB zur freien Verfügung.


Die Entstehung der Sammelhandschriften (auch als Annaberger Chorbuch I bzw. II bezeichnet; SLUB-Signaturen Mus.1-D-505 bzw. Mus.1-D-506) fällt wohl in das frühe 16. Jahrhundert, ist also vermutlich noch vorreformatorisch. Dafür sprechen Komponistennamen wie Antoine Brumel, Loyset Compère, Alexander Agricola, Heinrich Isaac oder Josquin Desprez und der katholisch geprägte Inhalt. Beide Kodizes bieten nämlich eine bunte Mischung meist vierstimmiger lateinischer Kirchenmusik: Messen, einzelne Messsätze, Magnificat-Vertonungen, Motetten sowie eine Sammlung von Hymnen und Introitus-Kompositionen. Zwar wurde die Reformation im albertinischen Sachsen, so auch in Annaberg, erst im Jahr 1539 eingeführt, doch sind die Chorbücher wohl trotzdem nicht für das 1519 geweihte Gotteshaus geschaffen worden, sondern als Teil eines größeren Quellenkomplexes, der "die kursächsisch-ernestinische Hofmusikpflege um und nach 1500“ (Steude) widerspiegelt, schon früher im ernestinischen Sachsen, eventuell in Wittenberg, entstanden. Dort durch die Reformation unbrauchbar geworden, gelangten die Bände nach Annaberg. Bis 1968 gehörten die Chorbücher der Kirchenbibliothek von St. Annen, bevor sie in den Bestand der damaligen SLB übergingen. Nach ihrer Restaurierung (1969/70) und Digitalisierung sind sie nun auf verschiedenem Weg erleb- und erfahrbar: Virtuell in Form hochwertiger Digitalisate, das Original kann in der Schatzkammer der SLUB neben weiteren Schätzen aus der Sammlung des Hauses betrachtet werden.


Nachdem das Annaberger Chorbuch II seit 2010 in einer textkritischen Edition innerhalb der von Prof. Dr. Wolfgang Horn betreuten Reihe „Erbe deutscher Musik“ vorliegt, soll in Kürze eine Neuausgabe des Chorbuchs I folgen. Vom Zusammenspiel zwischen Original und Quellenkritik sind neue Impulse für die Forschung zu erhoffen, zum Beispiel durch Identifizierung weiterer anonym überlieferter Werke, die in beiden Bänden nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind.

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