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Nach Stich und Faden – Wie durch die Zerstörung jüdischer Konfektionshäuser der Glanz der Berliner Mode-Ära erlosch

Die größten Modemetropolen der Welt: Wir denken sofort an Paris und natürlich New York, aber auch Berlin versucht heute ganz oben mitzuspielen in der High-Fashion-Liga. Dass die pulsierende Stadt an der Spree aber bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eine modische Blütezeit erlebte, die durch die Nazizeit jäh beendet wurde, ist weniger bekannt. 

Das möchte Journalist und Autor Uwe Westphal ändern. Er beschäftigt sich bereits seit Jahren mit der jüdisch geprägten Modewelt der Jahrhundertwende und deren grausamen Ende mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. In seinem neuen Buch "Modemetropole Berlin 1836–1939" rückt er die Entstehung und Zerstörung jüdischer Konfektionshäuser vor allem rund um den Berliner Hausvogteiplatz, dem Zentrum des sogenannten Konfektionsviertels, in den Mittelpunkt.

Dieses Buch soll ähnlich wie dieses Kunstwerk als eine Art Zauberspiegel wirken, der einen Blick in die Vergangenheit werfen kann, lange bevor die Nazis das Viertel unsicher machten.

Berlin als Fashion-Metropole war zu Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt von jüdischen Modeschaffenden. Es war die Zeit von reformierten Frauenkleidern, weg vom Korsett hin zu neuen Schnitten, die gleich auch ein neues Lebensgefühl transportieren sollten.

Mit ihren Entwürfen, der edlen Qualität und der Etablierung von Konfektionsware (bei Konfektionsware handelt sich um Bekleidung nach standardisierten Maßen und einem Schnittmustersystem, die en gros produziert werden kann) etablierten jüdische Modemacher den guten Ruf der Stadt als der Ort für angesagte Couture, die in einem Atemzug mit der Königin der Mode, Paris, genannt wurde, weit über die Landesgrenzen hinaus. Mensch von Welt trug Kleider aus den Häusern David Leib Levin, Valentin Manheimer, Hermann Gerson und Rudolf Hertzog.

Es ist kaum vorstellbar, dass dieses prosperierende Gewerbe durch den Nationalsozialismus auf so grausame Weise und in so kurzer Zeit untergraben und Existenzen zerstört und ausgelöscht wurde. Von anfänglichen Boykotten der Warenhäuser, über die systematische Sperrung von Vermögen und Zulieferungen bis hin zu Demütigung und Gräueltaten an Leib und Leben – dieses dunkle Kapitel der Modegeschichte ist bis heute unterrepräsentiert und bleibt quasi unerwähnt. Westphal geht so weit, diese Art von Verdrängung als kollektive Amnesie zu betiteln und versucht dieser Tatsache in seinem neuen Buch u. a. durch Interviews mit Modeschaffenden, die in den 1940er und -50er Jahren erfolgreich waren, auf den Grund zu gehen. 

Lesung und Gespräch mit Autor Uwe Westphal am 26.11., 19 Uhr, Klemperer-Saal. Eintritt frei.

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