SLUBlog
Bildung aus dem Internet – Moderner Geschichtsunterricht mit den Digitalen Sammlungen der SLUB
Lieber Herr Pallaske, Sie haben die Lernplattform segu Geschichte entwickelt? Wie kam das und was hat es damit auf sich?
Das ist jetzt schon fast zehn Jahre her. Damals war ich auf der Suche nach einer Alternative zum Frontalunterricht im Geschichtsunterricht – und hatte das Glück, als Lehrer für einige Jahre an die Uni Köln abgeordnet zu werden und die Idee einer Geschichts-Lernplattform tatsächlich umsetzen zu können. Um es kurz zu machen: Dann kamen sechs Jahre intensiver Arbeit. Wir haben es schließlich geschafft, das Projekt 2017 erfolgreich abzuschließen. Die Seite wird seither weiter gepflegt. Ab und zu kommt auch noch ein neues Lernmodul hinzu.
An wen richtet sich dieses Angebot und wie funktioniert es? Wie wird es angenommen?
Die Lernplattform richtet sich direkt an die Schüler der Klassen 5 bis 10. Es gibt Lernmodule zu allen gängigen und teils auch ungewöhnlichen Themen, die für den Geschichtsunterricht von Bedeutung sein können. Das war für viele Lehrerinnen und Lehrer besonders in den letzten Monaten sicher ein hilfreiches Angebot. segu hatte in den letzten Jahren gute Aufrufzahlen, aber im März sind sie regelrecht explodiert und haben die Seite zwei Wochen lahmgelegt. Wir haben zum Glück Hilfe im Sinne von Serverkapazität bekommen.
Was schätzen Sie, wie bekannt sind solche Lernmaterialien, die als OER veröffentlicht werden - vor allem im Hinblick auf das Schulfach Geschichte?
Schwer zu sagen. Digital affine Geschichtslehrer:innen werden segu sicher kennen. Es gibt aber nur wenige weitere ähnliche Angebote. Bekannt ist auf jeden Fall das Portal „ZUM – Zentrale für Unterrichtsmedien“, das auch viele Materialen als OER zur Verfügung stellt.
Der ehrenwerte Anspruch, Lernmaterialien und Bildungsmedien im Netz offen und frei verfügbar zu machen, ist der politisch eigentlich gewollt und wird entsprechend gefördert?
Das ist eine gute Frage. Auch weil die Antwort eindeutig ausfällt: Nein! Es gibt in Deutschland eine klare Dominanz der Schulbuchverlage, wenn es um Bildungsmedien geht. Dass es auch anders geht, beweisen andere Länder. OER sind z.B. Norwegen, Polen oder in den USA ein fester Bestandteil des Angebots an Bildungsmedien. Die Idee ist so einfach. Frei lizensierte Materialien könnte es in allen Unterrichtsfächern geben. Texte von Schulaufgaben sind keine Kunstwerke, keine Literatur und keine schützenswerten Musiktitel.
Die (wie viele eigentlich?) Lernmodule, die Sie auf der Plattform zur Verfügung stellen, sind für den direkten Einsatz im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I gedacht. Decken sie die in den Lehrplänen vorgesehenen Inhalte des Geschichtsunterrichts damit annähernd ab? Wenn ja, heißt das eigentlich, Sie nehmen den Geschichtslehrer:innen die Arbeit ab?
Ja, es gibt über 200 Lernmodule, die viele Themen der Lehrpläne verschiedener Bundesländer meist gut abdecken. segu wird auch in Österreich und in der deutschsprachigen Schweiz viel genutzt. Und ja, die Geschichtslehrer:innen sollen von den Materialien profitieren, die sie direkt im Unterricht einsetzen können. Das ist doch der Sinn aller Lernmaterialien – wie auch dem Schulbuch.
Verstehen Sie dieses Angebot als Konkurrenz zum kommerziellen Schulbuch?
Die Lernplattform will keine Konkurrenz zum Schulbuch sein. Im Gegenteil: Wie könnte ich als Historiker etwas gegen das Schulbuch einwenden? Es ist ein Kind der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Und es kann nur gut sein, wenn es ein vielfältiges Angebot an Bildungsmedien gibt. Dazu wird auch auf absehbare Zeit das Schulbuch gehören, wenn auch sicher vermehrt in digitaler Form. Und wir empfehlen auch nicht, die Schüler:innen nur noch im offenen Geschichtsunterricht lernen zu lassen. Unterricht braucht Vielfalt – auch an Methoden und Unterrichtsformen.
Die Schüler sind aufgefordert, ihren Lernfortschritt und das Angebot zu evaluieren. Sicher erhalten Sie auch Feedback von den Lehrer:innen. Wie würden Sie die Ergebnisse zusammenfassen?
Wir bekommen häufig Rückmeldung von Lehrerinnen und Lehrern, die zu schätzen wissen, dass Kinder und Jugendliche mit Hilfe der Plattform selbstständig lernen. Der Frontalunterricht ist klar noch die dominierende Unterrichtsform, besonders an den weiterführenden Schulen. Es gibt eine intensive Debatte darüber, welches die „effizientere“ Methode ist. Ich bin mir selbst noch nicht mal sicher, ob diese Diskussion zielführend ist. Bildung bemisst sich nicht unbedingt an Effizienz. Ich finde den Gedanken gut, dass Lernen, wenn es vielfältig angelegt wird, genau dann viele Schülerinnen und Schüler mitnehmen kann.
Sie benutzen ausschließlich Materialien, die unter Public Domain oder Creative-Commons-Lizenz stehen, da ist sicher Wikimedia die beste Adresse? Kürzlich haben Sie ein Lernmodul zum Thema "Geschichte des Fahrrads" veröffentlicht. Die dazugehörigen Quellenpakete enthalten auch viele Materialien aus den Digitalen Sammlungen der SLUB. Wie sind Sie darauf gestoßen und war es das erste Mal, dass Ihnen unser digitales Angebot von Nutzen sein konnte? Haben unsere Digitalen Sammlungen bei Ihnen irgendeinen bleibenden Eindruck hinterlassen?
Alle Bildmedien, auf die segu zurückgreift, stehen unter freier Lizenz. Mit der Zeit haben wir einen guten Blick bekommen, wo wir solche Bildquellen finden. Die Wikimedia ist die erste Anlaufstelle. Aber inzwischen gibt es wichtige andere Akteure, die Publikationen, Zeitungen oder Zeitschriften als gescannte Digitalisate zur Verfügung stellen. Entscheidend für den Nutzer der SLUB oder der „Heidelberger digitale Bestände“ ist die Freitextsuche: Bei Eingabe von Suchbegriffen werden auch bei Frakturschrift entsprechende Textstellen markiert und angezeigt. Diese Erfahrung war für mich bei der Bearbeitung des Fahrrad-Moduls neu, und ich war begeistert!
„Geschichte des Fahrrads“ – mal ehrlich, das klingt nach einem ziemlichen Nischenthema. Wie kommt's?
Das Modul entstand im Zusammenhang mit dem Anfang des Monats gestarteten „Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten“ der Körber-Stiftung in Hamburg. Wir haben die Zusammenarbeit gesucht, um auf das neue Wettbewerbsthema „Bewegte Zeiten. Sport macht Gesellschaft“ aufmerksam zu machen. Für alle, die den Geschichtswettbewerb nicht kennen: es geht um einen der bedeutendsten Schulwettbewerbe in Deutschland überhaupt. Schüler:innen forschen zu Geschichte(n) aus ihrem lokalen Umfeld, lernen Archive oder Methoden der Oral History kennen – vor allem aber, dass Geschichte je spannender ist, desto konkreter sie erzählt wird.
Sind Sie daran interessiert, Geschichtslehrer:innen dafür zu gewinnen, sich an der Erstellung solcher Lernmodule zu beteiligen?
Im April habe ich von einer Geschichtslehrerin und einem Geschichtslehrer eine Anfrage erhalten, die ein Modul über die Spanische Grippe im Vergleich zur Corona-Pandemie erstellen wollten. Es gab beeindruckende Quellen und so war das Modul schnell im Kasten. Es wird sehr häufig aufgerufen und wir sind ganz dankbar für die Idee. Es ist ein bestechender Vorteil einer online-Plattform, auf aktuelle Ereignisse sofort reagieren zu können. Darüber hinaus freuen wir uns über viele Anfragen und Hinweise – auch über einen Rechtschreibfehler oder tote Links. Wer aber eine Idee für ein gutes Modul und zum Beispiel bei der SLUB gute Quellen dafür gefunden hat, kann sich gerne an segu Geschichte wenden. Das geht immer noch am besten über Mail: kontakt[at]segu-geschichte.de.
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OER aus Sachsen
Anläßlich des Radfahr-Moduls entstand kürzlich eine Wikisourceseite mit Zusatzmaterial: https://de.wikisource.org/wiki/Wikisource:OER/Geschichte_des_Fahrrads. Andere OER-Projekte, die auch Wikisource-Quellen verwenden, sind dort auf der Seite https://de.wikisource.org/wiki/Wikisource:OER dokumentiert.