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Teamarbeit: Die Dante-Forschung an der TU Dresden

Die Geschichte der Dante-Forschung in Dresden ist eigentlich lang: Schon 1865 wurde anlässlich des 600. Geburtstages Dantes die Dante-Gesellschaft im Dresdner Hôtel de Saxe gegründet. Von dieser Dante-Gesellschaft, die seit 1921 ihren Sitz in Weimar hat, geht seither auch die gesamtdeutsche Dante-Forschung aus. Die Dante-Forschung an der TU Dresden ist hingegen wesentlich jünger und wurde maßgeblich von zwei Personen geprägt, mit denen wir anlässlich des Dante-Jubiläumsjahres gesprochen haben: Maria Lieber, Professorin für romanistische Sprachwissenschaft, und Dr. Thomas Haffner, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Spezialist für Handschriften und Alte Drucke an der SLUB.

Titelblatt und Frontispiz aus: Dante Alighieri's göttliche Comödie. Teil 3, Das Paradies. Dresden; Leipzig: Arnold, 1849. Dresden: SLUB Lit.Ital.A.189-3, Eigentümer: SLUB / Deutsche Fotothek

Herr Haffner, in der SLUB befinden sich ja einige Schätze, die für die Dante-Forschung besonders interessant sind. Welche sind Ihrer Meinung nach die bedeutendsten Dante-Objekte? 

Thomas Haffner: Zunächst ist der sogenannte Dante-Apparat zu nennen. Dieser umfasst 12 Bände, die vom Prinzen und späteren König Johann von Sachsen, genannt Philalethes, eigenhändig geschriebenes Material zur Übersetzung und Kommentierung der „Divina Commedia“ (zu deutsch „Göttliche Komödie“) enthalten. Sie gelangten 1873 als Vermächtnis des Königs in die Königliche Öffentliche Bibliothek. 1902 und 1963 kamen zwei weitere Bände hinzu. Handschriften mit Dante-Bezug gibt es außer dem Dante-Apparat eigentlich nicht sehr viele im Bestand der SLUB: Die wichtigste ist eine um 1372 wahrscheinlich in Bologna entstandene Handschrift der „Divina Commedia“ mit einem unbekannten Kommentar. Außerdem sind zwei von Karl Förster, einem Freund Johanns, eigenhändig geschriebene Fassungen seiner Übersetzung von Dantes „Vita nuova“ zu nennen.

Frau Lieber, als Romanistin haben Sie sich in Studium und Forschung schon vor dem Antritt Ihrer Professur in Dresden mit Dante auseinandergesetzt. Wussten Sie, als Sie 1993 zunächst als Vertretungsprofessorin für Romanistik nach Dresden gekommen sind, bereits von den Schätzen in der SLUB bzw. damals noch in der Landesbibliothek?

Maria Lieber: Nein, das liegt auch daran, dass man im Westen natürlich keinen Zugriff auf die Bibliotheken in der DDR hatte. Ich habe mich auch eher in konzentrischen Kreisen der Dante-Forschung angenähert: In der alten Zweigbibliothek in der Zeunerstraße gab es keine romanistischen Bücher. Meine Fachliteratur immer aus Berlin mit nach Dresden zu bringen, wie es viele Kolleg:innen getan haben, war mir aber auf Dauer zu aufwendig. Daher bin ich in die Marienallee gefahren, wo zu dieser Zeit die Handschriften gelagert waren, um dort zu forschen. Da die meisten meiner Kolleg:innen damals keine Quellenforschung betrieben haben, war das eine recht einsame Angelegenheit, bis ich Herrn Haffner kennenlernte. Gemeinsam haben wir uns dann die verschiedenen Manuskripte angesehen und Herr Haffner hat sie in meinen Seminaren vorgestellt Zu Beginn haben wir uns mit französischen Handschriften beschäftigt, aber dann sind wir zu den italienischen Handschriften übergegangen. Dort stach sie mir sofort ins Auge: die „Commedia“! Allerdings konnte man einen Großteil gar nicht lesen, daher haben wir uns zunächst Handschriften des 17. und 18. Jahrhunderts herausgesucht, die man den Studierenden besser nahebringen konnte. Der Aufbau der Romanistik in Dresden war echte Pionierarbeit, denn es gab ja keinen neueren Bücherbestand. Ohne den wertvollen Altbestand der SLUB wäre ich wahrscheinlich nicht in Dresden geblieben. Auch die überaus kompetenten Mitarbeiter:innen haben mich darin bestärkt, weiterzumachen und mit der Manuskriptforschung einen neuen Dresdner Zweig der deutschsprachigen Romanistik zu gestalten.

Herr Haffner, wussten Sie, als Sie 1997 in der SLUB begonnen haben, bereits von der Dante-Handschrift und dem umfangreichen Dante-Apparat König Johanns von Sachsen?

TH: Nein, aber wie Frau Lieber bereits angedeutet hat, machen mir Quellenpräsentationen für Studierende viel Freude. Es ist wichtig, dass die angehenden Wissenschaftler:innen erfahren, welche Schätze die SLUB birgt, was sie für eine Geschichte haben und nach welchen Kriterien man sie untersuchen kann. Aber ich lerne dabei auch selbst die Bestände näher kennen, wie beispielsweise die schon erwähnte Dante-Handschrift aus dem 14. Jahrhundert. Auf den Dante-Apparat bin ich durch Brigitte Heymann aufmerksam geworden, die 2006 einen Lehrstuhl am Dresdner Institut für Romanistik vertrat und sich für ihn interessierte. Jetzt ist sie am Institut für Romanistik der Humboldt-Universität zu Berlin in einem Forschungsprojekt über Philalethes‘ Dante-Übersetzung und -Kommentar tätig. Häufig ist es so, dass man sich erst durch die Benutzer:innen dessen bewusst wird, was man eigentlich alles in der Bibliothek hat.

Insbesondere die zu einem Großteil unlesbare Handschrift der „Göttlichen Komödie“ aus dem 14. Jahrhundert hat es mittlerweile auch internationalen Forscherinnen und Forschern angetan. Welche Geschichte steckt dahinter?

TH: Die Commedia-Handschrift aus dem 14. Jahrhundert lagerte 1945 im Keller des Japanischen Palais, wo sie leider einen massiven Wasserschaden erlitten hat, der ihre Bearbeitung erschwerte. Wissenschaftlich erschlossen wurde sie erst im Rahmen eines 2015 u.a. durch die Initiative von Frau Lieber begonnenen und noch bis Ende Juli 2021 von der DFG geförderten Projekts zur Erschließung und Digitalisierung der Handschriften in italienischer Sprache der SLUB, in dessen Zuge fast 400 italienische Handschriften erschlossen und digitalisiert wurden.

ML: Manuskriptarbeit und Quellenforschung sind immer Teamarbeit mit Studierenden und anderen Wissenschaftler:innen. Nachdem wir die italienischen Handschriften in der SLUB entdeckt hatten, habe ich natürlich auch meinen Kolleg:innen in Italien davon berichtet. In Trento habe ich dann Adriana Paolini kennengelernt, die Paläographin ist und sich die Handschrift unbedingt näher ansehen wollte. 2015 war sie dann das erste Mal in Dresden. 2019 konnte ich sie außerdem über ein sechsmonatiges Fellowship an die TU einladen, sodass sie Gelegenheit hatte, sich intensiv mit der Handschrift zu beschäftigen. Von ihr stammt auch die Datierung in das 14. Jahrhundert und die Information, dass die Handschrift wahrscheinlich aus Bologna kommt. Lesbar machen konnte sie die die verwaschene Schrift allerdings nicht.

TH: Hier spielt auch der Zufall eine Rolle. Gregory Heyworth, Leiter des Lazarus-Projekts an der Universität Rochester, kam auf den Dresdner Bestand durch eine altfranzösische Handschrift, mit der er sich im Rahmen seiner Dissertation beschäftigt hat. Er war im Besitz einer Multispektralkamera, mit der er diese Handschrift fotografieren wollte, um verblichenen Text wieder lesbar zu machen. Die SLUB hat ihm das erlaubt, und nach zwei erfolgreichen Projekten 2010 und 2015 war er 2019 auf Bitten von Adriana Paolini erneut in der SLUB, um auch die Handschrift der „Commedia“ unter seine mittlerweile verbesserte Multispektralkamera zu legen und den verblichenen Text so sichtbar zu machen

Da das Projekt zur Erschließung der italienischen Handschriften im Juli abgeschlossen wird – was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

TH: Wir haben viele Pläne in der SLUB. Auf die hier angesprochenen Handschriften bezogen, hoffen wir, dass in der SLUB bald eine Multispektralkamera zur Verfügung steht, mit der sämtliche verblassten Seiten der Commedia-Handschrift digitalisiert werden können, und dass die entstandenen Bilder dann in den Digitalen Sammlungen neben den jetzt schon vorhandenen Digitalisaten betrachtet werden können. Wir möchten auch ein Annotations- und Transkriptionstool für die Digitalen Sammlungen implementieren, womit man dann beispielsweise den Dante-Apparat erschließen könnte. Auch die automatische Erkennung von Handschriften mittels OCR-Technologie ist ein Thema.  Zu erwähnen sind auch laufende Drittmittelanträge zur Digitalisierung und Erschließung der großen Zahl französischer und lateinischer Handschriften der SLUB.

ML: Aktuell halte ich ein Hauptseminar zu Dante. Dort bearbeiten die Studierenden das Manuskript, lesen aber auch die „Göttliche Komödie“ und versuchen, in den Text mit allen möglichen Mitteln hineinzuhorchen. Außerdem arbeiten wir an einer Landscape zu den auf der Welt vorhandenen Handschriften der „Göttlichen Komödie“. Durch diese Visualisierung wird anschaulich, wie weitverstreut  heutzutage die Aufbewahrungsorte dieser Handschriften sind. Auch allgemein gibt es für die Romanistik in Dresden noch viel zu tun, beispielsweise zum Italienischen in Sachsen im Theaterwesen des 18. Jahrhunderts. Hier gibt es noch über hundert Libretti in der SLUB, die noch nicht bearbeitet wurden.

Vielen Dank für das Gespräch! 

Zum Nachlesen: Auf der 2018 in der SLUB veranstalteten internationalen Tagung „Die italienischsprachigen Handschriften der SLUB Dresden – neue Perspektiven der Forschung“ trug Adriana Paolini aus Trient ihre Forschungsergebnisse über die Commedia-Handschrift vor. Die 2020 online publizierten 13 Tagungsbeiträge zeigen das breite thematische Spektrum und das Forschungspotential der Dresdner Handschriften.

Der Dresdner Blick auf Dante - SLUBlog-Reihe im Jubiläumsjahr

Am 14. September 1321 starb Dante Alighieri und im selben Jahr vollendete er sein Hauptwerk „Divina Commedia“ (zu deutsch „Göttliche Komödie“) – ein 700jähriges Doppeljubiläum, das wir auch an der SLUB gebührend würdigen. Gemeinsam mit dem Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften an der TU Dresden werfen wir hier im SLUBlog den Dresdner Blick auf Dante. Was hat es mit dem Dante-Kränzchen auf sich? Wie klingen 100 X 5 min Dante? In monatlichen Beiträgen geht es um Handschriften, um studentisches Engagement und um die Dresdner Dante-Forschung.

Betty Baumann, unsere Gastautorin für diesen Beitrag, ist Kommunikationsmanagerin im Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften an der TU Dresden.

Alle Beiträge der Dante-Reihe sind unter der Kategorie "Dante" zu finden.

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