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Zum Antikriegstag 2022 - H. Johannes Wallmann: Glockenrequiem
Im Krieg gibt es keine Gewinner. Nicht nur die Menschen, Soldaten und Zivilisten der kriegführenden Parteien sind unmittelbar von Gefahr für ihr Leben betroffen oder zur Flucht gezwungen, auch Wirtschaftswege, Nahrungs- und Energieversorgung werden gestört, die Umwelt belastet. Wir erleben all das gerade in direkter europäischer Nachbarschaft, zudem fordern etliche weitere Kriegsgebiete auf der ganzen Welt Opfer. 20 Kriege vermeldete das Heidelberg Institute for International Conflict Research jüngst in seinem Conflict Barometer für 2021, neben 180 kriegsähnlichen gewaltsamen Konflikten und 150 (noch gewaltlosen) Krisen.
Der 1. September macht als Anti-Kriegstag regelmäßig auf die Zerstörungskraft kriegerischer Auseinandersetzungen aufmerksam. „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ - seit den 1950er Jahren demonstrieren unter diesem Motto etliche Menschen am 1. September, dem Tag, an dem 1939 der zweite Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen seinen historisch markierten Anfang nahm, für eine friedliche Welt. Und wie die jüngste Vergangenheit und Gegenwart zeigt, mit ungeminderter Aktualität. Ein besonders eindrucksvolles Zeugnis, Zeichen gegen den Krieg zu setzen und an den Frieden zu mahnen, ist uns mit dem Glockenrequiem des Komponisten H. Johannes Wallmann überliefert.
„Im Menschen ist ein Drang zur Vernichtung, ein Drang zum Totschlagen, zum Morden und Wüten, und solange die ganze Menschheit, ohne Ausnahme, keine Metamorphose durchlauft, wird Krieg wüten, wird alles, was gebaut, gepflegt und gewachsen ist, wieder abgeschnitten und vernichtet, und dann fängt es wieder von vorn an,“ schrieb Anne Frank resigniert im Mai 1944, kurz vor ihrer Deportation nach Ausschwitz in ihr Tagebuch. Voraussetzung für den Frieden ist für Anne Frank eine Wandlung der gesamten Menschheit, nur dort, in der Metamorphose, sieht die 14-jährige einen Ausweg aus dem Kreislauf der Kriege und Konflikte.
Diesen Satz Anne Franks legte Wallmann seinem Glockenrequiem als eine Art Leitmotiv zu Grunde. 1995 führte er am Vorabend des 50-jährigen Wiederkehr der Bombardierung Dresdens das Glockenrequiem als Stadt-Klang-Komposition in Dresden auf: 129 Glocken in 47 Geläuten mahnten in genau aufeinander abgestimmten Klängen an einen Frieden, der nicht selbstverständlich ist, um den immer wieder gerungen werden muss. Der Klang der Glocken - von großem symbolischen Wert über die verschiedenen Kulturen hinweg - lag über der gesamten Stadt und erinnerte akustisch sowohl an die freud- wie leidvollen Gelegenheiten für Glockengeläut, aber auch an das fehlende Geläut, wenn während des Krieges Glocken zu Waffen umgeschmiedet wurden.
Zehn Jahre später griff Wallmann, der sich nicht nur als gesellschaftlich wirksamer Komponist, sondern ebenso als anti-totalitärer Philosoph und unbedingter friedlicher Demokrat versteht, diesen Gedanken, Glocken als Requiem klingen zu lassen, noch einmal auf und erweiterte ihn, auf Lessings Ringparabel und die gemeinsame Zukunftsverantwortung der Kulturen rekurrierend, um drei Chöre in hebräisch, hocharabisch und deutsch, elektronische Klänge, drei Schreier und einen Koranrezitator zum Glockenrequiem XXI.
Anlässlich des Antikriegstages am 1. September 2022 und angesichts der andauernden Kriege stellen wir H. Johannes Wallmanns Glockenrequiem in beiden Versionen als eindringliches, mahnendes Werk genauer vor und laden ein, im Foyer der Zentralbibliothek das Glockenrequiem an der magic box zu hören, die zugehörigen Texte zu lesen und mehr zum Kontext seiner Uraufführung 1995 zu erfahren. Die Installation wird bis zum 21.9., dem Weltfriedenstag der Vereinten Nationen, zu sehen sein.
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Magic Box: H. Johannes Wallmann: Glockenrequiem Dresden (1995) und Glockenrequiem XXI (2006): 1.9.-21.9., Installation in der Magic Box, Hauptfoyer der Zentralbibliothek
Die SLUB hat mit H. Johannes Wallmann einen Vertrag zur Übernahme des musikalischen und philosophischen Vorlasses des Komponisten geschlossen. Mehr dazu erfahren Sie in unserer Pressemitteilung.
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