Dylan wurde bereits mehrfach als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt, heute gewann er ihn endlich. Wen wundert's? Der Literaturwissenschaftler und Dylan-Experte Heinrich Detering beleuchtet in seiner aktuellen Studie Die Stimmen aus der Unterwelt das Spätwerk des Künstlers, das mit dem Album Love and theft im Jahre 2001 einsetzte. Die darauf versammelten apokalyptischen Songs brachten dem heutigen Literaturnobelpreisträger den Vorwurf des Plagiats ein. Die Kritik bemängelte, er montiere lediglich Versatzstücke aus der amerikanischen Musiktradition sowie aus der Weltliteratur von Homer und Ovid über Shakespeare bis F. Scott Fitzgerald, und das ohne Nachweis! Was als Inspirationsmangel eines alternden Künstlers erschien, interpretiert Detering hingegen als das Kernstück einer zeitgenössischen und höchst produktiven Poetik: Bei Dylan hat Ovid den Blues! Es ist eine alte Geschichte: Bereits Heinrich Heine verteidigte seinen Dichterkollegen Dumas: "Aber nichts ist thörigter als dieser Vorwurf des Plagiats, es giebt in der Kunst kein sechstes Gebot, der Dichter darf überall zugreifen, wo er Material zu seinen Werken findet, und selbst ganze Säulen mit ausgemeißelten Kapitälern darf er sich zueignen, wenn nur der Tempel herrlich ist, den er damit stützt." (Heinrich Heine: Über die französische Bühne. In: ders.: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, Bd. 12/1. Hg. von Manfred Windfuhr. Hamburg: Hoffmann und Campe 1980, S. 260f.)
Bob Dylan hat wunderbare Tempel geschaffen! Also höchste Zeit, mal wieder eine alte Platte aufzulegen. Wer jetzt keinen Plattenspieler hat, baut sich keinen mehr, sondern verbringt den Herbsttag mit Dylan in der SLUB.
Bild: Duncan Hull
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