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SLUB-Lieblingsstücke 4: Nix mit verwässert!
Nicht alle Aufgaben lassen sich im Homeoffice erledigen. Beispielsweise solche, bei denen mit großem Gerät gearbeitet wird. Kein Wunder also, dass unsere Kollegin Dr. Andrea Hartmann eines ihrer liebsten Hilfsmittel in den letzten Wochen schmerzlich vermisst hat: die Thermographie-Kamera.
Diese Kamera ermöglicht es, Wasserzeichen und Papierstrukturen sichtbar zu machen, die mit dem bloßen Auge so nicht erkennbar sind. Wie die Papierherstellung funktioniert und wie Wasserzeichen entstehen, erklärt dieses Video der Kolleg*innen des Deutschen Museums München sehr anschaulich. Kurz zusammengefasst: Auf dem Schöpfsieb wird eine Drahtstruktur aufgebracht. Beim Schöpfvorgang lagern sich weniger Papierfasern auf dieser erhabenen Struktur an. Daher ist das fertige Papier an dieser Stelle dünner und durchscheinender – fertig ist das Wasserzeichen. Diese unterschiedlichen Dichten des Papiers macht sich die Thermographie-Aufzeichnung zu eigen. Andrea Hartmann erklärt:
Für eine Aufnahme benötigt man drei Komponenten: eine empfindliche Infrarot-Kamera, einen Buchtisch, auf dem eine Wärmeplatte und die Kamera montiert sind, und eine spezielle Bildbearbeitungssoftware. Die Aufnahme läuft dann folgendermaßen ab: Ich positioniere die zu untersuchende Seite des Buches auf dem Tisch vor der auf 39°C temperierten Wärmeplatte. Danach stelle ich die richtige Höhe und den Abstand der Kamera zur Platte ein – der Winkel von 90° zum Papier bleibt dabei stets erhalten. Dann schalte ich die Kamera ein. Sie zeichnet in kurzer Zeit auf, wie viel der erzeugten Wärme durch das Papier dringt. Dort, wo sich das Wasserzeichen befindet und das Papier dünner ist, ist folglich die Temperatur höher, was die Kamera erkennt. Am Ende des Prozesses steht die digitale Bildbearbeitung. Tinte ist übrigens bei der Aufzeichnung nicht sichtbar und die Temperatur ist für das Papier auch nicht schädlich.
Das Ergebnis sind Aufnahmen von Wasserzeichen, die im Gegensatz zu anderen Methoden sehr präzise sind: Bei einer Durchzeichnung ist die Zeichnung oft ungenau, bei der Abreibung wird das Papier belastet und bei der Durchlicht-Fotografie ist die Schrift im Weg.
Das klingt erstmal ganz schön kompliziert, aber unsere Fotos machen den technischen Aufbau des Ganzen sicher verständlicher:
Andrea Hartmann hat scheinbar keine Angst vor großer Technik und empfindlichen Handschriften, sondern ist von der Arbeit mit dem Kameraaufbau angetan:
Es gefällt mir ganz besonders, dass ich die Thermographie-Aufnahmen selbst herstellen kann. Ich kann das Papier untersuchen, die Blätter auswählen, von denen Aufnahmen gemacht werden sollen. Danach arbeite ich an der Kamera, mache die Aufnahmen und die Bildbearbeitung. Spannend wird es, wenn ich ein Wasserzeichen identifizieren kann, das mit bloßem Auge im Durchlicht nicht klar erkennbar war.
Außerdem finde ich es toll, dass die Kameraanlage der SLUB in eine große Holzkiste verpackt werden kann, um sie auch an anderen Standorten temporär zu nutzen. Es gibt nämlich nur wenige Bibliotheken in Deutschland, in denen diese Methode angewendet werden kann – wegen der hohen Anschaffungskosten.
Soweit zur faszinierenden Methodik. Aber was bringt es uns nun eigentlich, Wasserzeichen identifizieren zu können?
Ganz einfach: Wasserzeichen können ein Hilfsmittel für die Datierung schriftlicher Überlieferungen auf Papier sein. Diese Zeichen waren seit der Mitte des 13. Jahrhunderts üblich und dienten zur Angabe der Marke, Herkunft und Qualität von Papieren. Uns kommt dabei zugute, dass die Schöpfsiebe mit den Wasserzeichen nur zwei bis vier Jahre haltbar waren. Das heißt: Neues Schöpfsieb gleich neues Wasserzeichen und damit eine recht genaue zeitliche Einordnung des Papiers. So kann die Datierung von Handschriften bestätigt oder präzisiert und Vergleichsmaterialien für andere Forschungen zur Verfügung gestellt werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass es relativ große Mengen an bereits genau datiertem Vergleichsmaterial gibt.
Andrea Hartmann benötigt all diese Kenntnisse für ihre Arbeit an dem Internationalen Quellenlexikon der Musik, kurz „RISM“ (Répertoire International des Sources Musicales), für das sie schon seit 1990 an der SLUB tätig ist.
Die RISM-Arbeitsgruppe Deutschland erfasst die Musikquellen aus der Zeit von ca. 1550 bis 1850, und die Arbeitsstelle in Dresden ist für die Quellenerfassung in den 5 ostdeutschen Bundesländern zuständig. Wir ermitteln, wo Quellen zu finden sind, entleihen diese in die Arbeitsstelle und erfassen das Material detailliert. Die Arbeitsergebnisse sind kostenfrei zugänglich.
Dabei sind die Grenzen zwischen Detektivarbeit und Musikforschung oft fließend:
Ich habe es gern, wenn man an einer Quellenbeschreibung etwas länger knobeln muss, sei es, dass die Schrift schwer lesbar ist, sich die Ermittlung von Vorbesitzern als aufwendig gestaltet oder die Datierung unklar ist.
Einer ihrer großen Träume ist es, dass eine Ähnlichkeitssuche der Wasserzeichenbilder möglich ist. Bis dahin arbeitet sie mit den bekannten Mitteln weiter an den historischen Quellen – aktuell an Handschriften aus dem Bacharchiv Leipzig, wobei ihr auch schon einmal ein Einhorn über den Weg läuft …
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4 Kommentar(e)
Mustererkennung
"Einer ihrer großen Träume ist es, dass eine Ähnlichkeitssuche der Wasserzeichenbilder möglich ist." Ein Beispiel aus Paris, die Implementierung hat es auf github mit MIT Lizenz:
http://imagine.enpc.fr/~shenx/Watermark/
https://arxiv.org/pdf/1908.10254.pdf
https://github.com/XiSHEN0220/WatermarkReco
Herzlichen Dank, lieber Norwid Behrnd, für diesen spannenden Hinweis! Dieses Projekt werden wir uns wohl mal näher anschauen!
Falscher Link
Da hat sich am Ende des vorletzten Zitatblocks ein Link zu einer lokalen Ressource auf Laufwerk C: eingeschlichen. (Nennt man solch einen Fehler in Analogie zur Zeitungsente ein Blogeinhorn?)
Vielen Dank, lieber Thomas Weber! Das Blogeinhorn hat sich nun aus dem Staub gemacht ;-)