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Experiment und Wandel

Die Deutsche Fotothek gratuliert dem Fotografen Goetz-Eberhard Sobek mit einer Auswahlpräsentation zum 95. Geburtstag.

Goetz-Eberhard Sobek: Opel-Kampagne, um 1964. Eigentümer: SLUB Dresden / Deutsche Fotothek

Über den Altmeister der Werbefotografie schrieb die Zeitschrift Rolleigrafie bereits vor über 50 Jahren, Sobeks Anzeigen vereinten „auf eindrucksvolle Art die wichtigsten Komponenten moderner Werbung: Das Produkt vermittelt emotionale Wirkungen, die die geheimen Wünsche des Konsumenten treffen. […] Ob es bei Reyno der Hauch zweisamen Glücklichseins voller Romantik, bei Overstolz das Gefühl, ein harter und erfolgreicher Mann zu sein oder bei Mercedes-Benz ganz einfach das Image eines Mannes ist, der es sich leisten kann, Mercedes zu fahren,“ – Sobeks Reklamearbeiten erweisen sich mit ihrem „Griff nach dem Unterbewussten“ als quasi mustergültige Beispiele für die von Konsumkritiker Vance Packard 1957 als „geheime Verführer“ bezeichneten Werbestrategien der Wirtschaftswunderzeit.

Bekannt wurde Goetz-Eberhard Sobek Anfang der 1960er Jahre u.a. durch seine Reyno Kampagne, die sich über lange Jahre als Konzeptionsvorbild erwiesen hat. Sobek hat bei dieser Serie – wohl erstmals im großen Stil – die gesamte Farbabstimmung zugunsten der intendierten Werbeaussage verschoben. Das kühle Blaugrün suggeriert kühles Wasser und kühlen Schatten unter Bäumen, – ein Appell an alle Sinne, der den Slogan „Reyno erfrischt mit jedem Zug“ gleichsam fühlbar werden lässt. Sobeks Bildstrategie rüttelte damals an der Grundvorstellung von Colorfotografie, an der Wiedergabe in „natürlichen“ Farben.

Stilbildend und am Puls der Zeit blieb Sobek über Jahrzehnte. Zu seinen Hauptkunden zählten die Automobil- (Opel, Mercedes-Benz, Fiat) und die Tabakindustrie (Reyno, Overstolz), zudem bediente er ein breites Spektrum der Produktfotografie: Dessous (Fabrice), Mode (Hettlage), Kosmetik (Ellen Betrix), Textilien (perlon), pharmazeutische Produkte (Adumbran) und Vieles mehr. Außerdem gehörten Industriekunden wie die Farbwerke Höchst, das Deutsche Lackinstitut und nicht zuletzt der Pelzhandel zu seinen Auftraggebern.

Allein diese Spannbreite verdeutlicht, dass Sobek seinem Credo stets treu geblieben ist: „Ein Fotograf darf sich nicht allzu einseitig spezialisieren. Er soll die Fotografie in ihrer ganzen Vielseitigkeit betreiben.“ Folgerichtig notierte das Foto Magazin 1972: „Sein Streben in der Arbeit ist Wandlung – durch Neues, durch freie Gestaltung, durch Experimente“. Sobek selbst unterstrich: „Entscheidend ist und bleibt das Experiment. Wer dazu keine Zeit findet, der wird steril und geht in der Routine unter.“ So entstanden, um neue Gestaltungswege für seine Werbekunden zu finden, neben Auftragsarbeiten stets auch freie und experimentelle Fotografien, die in Fachpublikationen wie Foto Magazin oder Color Foto rezipiert worden sind. 1970 erschien seine Aufnahme Zoom-Mädchen im Wald auf dem Cover von Das Deutsche Lichtbild 1970. Spätestens zu diesem Zeitpunkt durfte er sich zur Elite der deutschen Fotograf:innen zählen.

Spuren experimenteller Verfahren finden sich zahlreich in Sobeks Werbekampagnen. Neben Zoomeffekten, Schwarzlichtblitz oder Rückprojektion nutzte er etwa Bewegungsunschärfe zur Visualisierung von Geschwindigkeit in der Automobilwerbung, oder – auf geradezu gespenstische Weise – zur bildlichen Inszenierung von Bewusstseinszuständen bzw. Bewusstseinsveränderung in einer umfangreichen Anzeigenserie für das Beruhigungsmittel Adumbran.

Weit mehr als die Produkte selbst spiegeln – und prägen – die Werbemittel die Normen und Werte ihrer Zeit, sind Indikator sozialen und kulturellen Wandels. In Sobeks Schaffen zeigt sich dies u.a. in der Automobilwerbung der 1970er und 1980er Jahre, in seinen Titelbildern für die Hauszeitschrift fiatfahren, und insbesondere in seinen Aufnahmen für die FIAT-und Castrol-Kalender, die ähnlich wie die Pirelli-Kalender nachhaltig zur Allgegenwart erotischer Fotografie beitrugen. Die Formel „Girls and Cars“ war seinerzeit gesellschaftsfähig, während sie heute schlicht als sexistisch wahrgenommen wird und als unzeitgemäß gilt. Folgerichtig inszenierte beispielweise Annie Leibovitz für die Ausgabe 2016 des legendären Pirelli-Kalenders starke prominente Frauen verschiedenen Alters und brach damit mit den sexualisierten Klischeedarstellungen, welche den Kalender über Jahrzehnte hinweg dominierten. Sobeks automobile Pin-Ups der 1980er Jahre verströmen dagegen ganz ungebrochen den Geist ihrer Zeit, in der stereotype Frauenbilder in (vermeintlich) werbefördernder Absicht bedient und nicht hinterfragt wurden. Oder anders gesagt, „Werbebilder und -botschaften interessieren als symbolische Repräsentanten psychosozialer Verfasstheit, ihre visuellen und verbalen Formulierungsleistungen als potentielle Quellen im Rahmen einer Geschichtsschreibung kollektiver Befindlichkeiten. Damit ist Werbung nicht nur Gegenstand des mentalitätsgeschichtlichen Diskurses geworden, sondern hat die Funktion und den Rang eines Schlüsselinstruments zugesprochen bekommen, mit dessen Hilfe sich Wege zu kollektiven Vorstellungswelten eröffnen lassen sollen.“

Die großen gesellschaftlichen Umbrüche der 1950er bis 1980er-Jahre lassen sich im Werk Sobeks mühelos ablesen, ebenso der Wandel der visuellen Kommunikation. Wir können bei ihm quasi rückblickend „die Werbung beobachten, wie sie die Gesellschaft beobachtet.“ Und dies geschieht mit großer Meisterschaft. Sobeks „Arbeitsweise wirkt mühelos, routiniert, ohne mechanisch zu sein. Die spielerische Leichtigkeit, mit der er seine Modelle dirigiert, die ideenreiche Regieführung und die Belichtung genau im richtigen Moment – wenn die Pose sitzt, die Farben harmonieren und das Licht stimmt –, das zeigt den erfahrenen Könner“.

Goetz-Eberhard Sobek, am 13. Juli 1926 im schlesischen Oberschreiberhau (Szklarska Poręba) geboren, verbrachte seine Kindheit in Breslau (Wrocław). Nach der Einberufung zur Kriegsmarine 1944 und anschließender Kriegsgefangenschaft kam er Ende 1945 nach Westdeutschland. Von 1948 bis 1951 studierte er an der Bayerischen Staatslehranstalt für Lichtbildwesen in München. Nachdem Sobek im Anschluss zunächst im Bereich der Architekturfotografie tätig war, wandte er sich zunehmend der expandierenden Werbebranche zu.1962 gründete er sein eigenes Foto-Studio Goetz E. Sobek in Frankfurt.

Der fotografische Vorlass von Goetz-Eberhard Sobek wurde 2020 in die Deutsche Fotothek übernommen. Enthalten sind rund 800 Prints, 5.300 Diapositive in den Formaten 6 x 6, 9 x 12 und 13 x 18 cm, sowie 500 Negative, außerdem zahlreiche Druckbelege und Publikationen.

Zu Werk und Biografie von Goetz-Eberhard Sobek
Unsere Highlights zu Goetz-Eberhard Sobek

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