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»Seiner Zeit meist weit voraus«. Der Fotograf Ingolf Thiel im Porträt
»Moderne Gefühle«. Der Fotograf Ingolf Thiel
Katalogpräsentation und Vortrag von Dr. Jens Bove und Dr. Simone Fleischer
Mittwoch, 7. Dezember 2022, 19 Uhr, Klemperer-Saal, SLUB Dresden
Anmeldung und weitere Informationen
»Ingolf Thiel gehörte zu den großen Foto-Designern, der seiner Zeit meist weit voraus war«. So schrieb Kodak Fotografie International 1985 über den im selben Jahr viel zu früh verstorbenen Stuttgarter Fotografen. Seit Mitte der 1970er Jahre arbeite Thiel mit zunehmendem Erfolg für große Industrie- und Modeunternehmen wie Daimler-Benz, Mustang-Jeans und zahlreiche andere. Anfang der 1980er zählte er zu den innovativsten Werbefotografen Deutschlands, dessen Kampagnen den Look einer ganzen Generation widerspiegelten und gleichzeitig prägten. Parallel entstanden immer auch freie Arbeiten, konzeptionelle Schwarzweiß-Serien, in denen Thiel die Ästhetik seiner Zeit reflektierte. Mit der bewusst coolen Haltung des beginnenden New Wave der frühen 1980er bricht Thiel die Werbeästhetik und stilisiert sie zu einer »Schönheit mit Widerhaken«.
Thiel hatte von 1964 bis 1967 bei Franz Lazi (1922-1998), einem renommierten Industrie- und Werbefotografen, das fotografische Handwerk gelernt. Die Ausbildung schloss er mit Auszeichnung ab und konnte Anschluss sofort die Leitung eines Großraumfotostudios in Freiburg/ Breisgau übernehmen. Doch die Katalogfotografie, das täglich Brot des Studios H.F. Wehrle KG, wurde ihm schnell zu eintönig: »[Dafür] hast du diesen Beruf nicht erlernt«, wie er später in einem Interview erzählte.
Thiel kündigte und fing als Assistent bei Modefotografen wieder neu an, zunächst bei Rico Pulmann in Berlin, über Stationen in Murr an der Murr und München kam er im August 1970 zurück nach Stuttgart und wurde Studioleiter und Creativ Berater bei Jürgen Domnich, wo er mit Gewinnbeteiligung und kreativen Freiräumen für eigene Aufräge bis Anfang 1975 blieb. Thiel entwickelte unter diesen komfortablen Bedingungen seine fotografische Handschrift, entdeckte die Fotomontage als Mittel der Wahl für die Umsetzung seine Arbeiten. Die Manipulationsmöglichkeiten der Montage gaben ihm die Möglichkeit, Bilder nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten und mit Dopplungen, Größenverhältnissen und Perspektivverschiebungen zu spielen. Ein erstes Mal überschnitten sich dabei die Grenzen zwischen Auftrag und fotokünstlerischem Ausdruck: Die Montagen entstanden einerseits als freie Arbeiten, die auch in Ausstellungen gezeigt wurden. Andererseits setzte Thiel sie für Auftragsarbeiten ein, etwa für Plakatmotive für das Württembergische Staatstheater.
1975 wagte Ingolf Thiel den Sprung in die Selbständigkeit und gründet sein eigenes Studio, mit dem er schnell Erfolg hatte. Wie ein roter Faden zieht sich weiterhin das Auflösen der Grenzen zwischen künstlerischen Genres, das Verschwimmen von High und Low durch sein Schaffen. Die Trennung zwischen angewandter und freier Fotografie war für ihn keine Kategorie. Vielmehr erhob er den fließenden Austausch zum bestimmenden Gestaltungsprinzip. Motive, Ikonografie, Requisiten und Models diffundierten munter in gegenseitiger Bereicherung zwischen den Sphären hin und her. Zudem blickte er immer auch über den Tellerrand der Fotografie hinaus und interessierte sich mit Neugier, Enthusiasmus und Engagement für andere Bereiche künstlerischen Ausdrucks. Das genreübergreifende, Grenzen verwischende Experimentieren und der intensive Austausch zwischen den Künsten war kennzeichnend für die künstlerische Alternativszene um 1980. Gleichzeitig stattfindende Entwicklungen in Kunst, Musik, Performance, Theater und Mode beeinflussten sich gegenseitig. – Und mittendrin: Ingolf Thiel! Er war Performer, Schauspieler, Balletttänzer, Kostümbildner, Modedesigner. Die zahlreichen Ausflüge in andere Künste waren für ihn Möglichkeit der Perspektiverweiterung und kreative Impulsgeber für seine fotografische Arbeit. Mit Lässigkeit und Coolness, stets auf der Höhe der Zeit fand Thiel einen Bildstil, der den Zeitgeist der frühen 80er Jahre in all seinem Facettenreichtum zwischen Perfektion und Do-it-yourself, zwischen rücksichtsloser (Selbst-) Optimierung und desillusioniertem No Future festhielt.
Seit 2017 wird der Nachlass des vielseitigen Fotografen in der Deutschen Fotothek verwahrt. Nun wird sein Werk nach 30 Jahren in einer ersten großen Retrospektive umfassend gewürdigt. Der Abendvortrag wird die Person Ingolf Thiel näher vorstellen und verschiedene Facetten seines Werkes beleuchten. Nicht zuletzt wird der zur Ausstellung im Sandstein Verlag erschienene Katalog präsentiert.
Die Ausstellung ist vor und nach der Veranstaltung geöffnet. An diesem Abend kann der Katalog käuflich erworben werden.
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