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Das Archiv für zeitgenössische Kompositionen in der SLUB Dresden
Die digitalen Sammlungen der Abteilung "Musik und AV-Medien" wachsen zusehends: Ob Kirchen-, Kammer-, Bühnen- oder höfische Musik des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts, ob die in den sächsischen Schulen und Gemeinden überlieferte Kirchenmusik des 17. Jahrhunderts oder die in den letzten 50 Jahren angelegten Tonträgersammlungen ‒ unsere Digitalisate werden von einem breit aufgestellten internationalen Interessentenkreis aus Musikforschung und -praxis rege genutzt. Die Abteilung beherbergt außerdem in ihren Papier- und AV-Magazinen mit dem "Archiv für zeitgenössische Kompositionen" einen außergewöhnlichen Schatz, deren systematische Online-Zugänglichkeit wegen der komplexen Rechtelage derzeit noch etwas erschwert wird.
Diese "Sammlung in der Sammlung" wurde an der SLUB seit den 1960er Jahren mit dem Ziel aufgebaut, ein nationales Archiv für Quellen der DDR-Musik zu bilden. Die damalige Sächsische Landesbibliothek Dresden besaß nicht nur bereits einen umfangreichen historischen Quellenbestand, sondern hatte durch eine geschickte Politik ihrer Leitungsebene in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch den Status eines Sondersammelgebietes Musik im Raum der DDR inne (Zentrale Fachbibliothek der DDR für Kunst und Musik).
Im Einvernehmen mit dem Komponistenverband der DDR wird das "Archiv Dresdner Komponisten des 20. Jahrhunderts" (1964) eröffnet als zentrale Sammelstelle für musikalische Nachlässe von Dresdner Komponisten. Es weitet sich zu Beginn der 70er Jahre zum Komponistenarchiv der DDR aus, dessen Aktivität sich vorrangig auf die fortlaufende Erwerbung von Partiturautographen junger aufstrebender Komponisten richtet. (Wolfgang Reich, Leiter der Musikabteilung 1960-1992)
Neben diesen Aktivitäten der damaligen Musikabteilung (geleitet von Wolfgang Reich) dokumentierte der Verlag Edition Peters, in dem eine eigene Abteilung für zeitgenössische Musik in Dresden eingerichtet wurde, die Musik der DDR in seinen Publikationen. Zudem wurde eine enge Kollaboration mit dem Rundfunk der DDR gepflegt, der seinerseits die Arbeiten der DDR-Komponisten in Mitschnitten und Einspielungen aufbewahrte. Auf diese Weise sollte das Archiv der DDR-Musik in möglichst breiter Medienvielfalt entstehen.
In Zusammenarbeit mit der Musikabteilung der Sächsischen Landesbibliothek Dresden und dem DDR-Rundfunk (arbeitete der Peters-Verlag) an einem kombinierten Partitur- und Tonträgerarchiv und an einer Werk- und Personaldokumentation. (Armin Köhler, Lektor für zeitgenössische Musik Edition Peters)
Bei der systematischen Sammlung der Quellen galt Wolfgang Reichs Augenmerk dabei aber beileibe nicht jeder zeitgenössischen Musik, sondern vor allem den Werken der zwischen 1929 und 1945 geborenen Generation von DDR-Komponisten. Von Komponisten wie Reiner Bredemeyer, Günter Kochan, Paul-Heinz Dittrich, Christfried Schmidt, Siegfried Matthus, Manfred Weiss, Georg Katzer, Günter Neubert, Karl Ottomar Treibmann, Thomas Müller, Tilo Medek, Friedrich Goldmann, Friedrich Schenker, Rainer Lischka, Rainer Hrasky, Jörg Herchet, Udo Zimermann, Helge Jung, Lothar Voigtländer, Wilfried Krätzschmar, Gerd Domhardt oder Hermann Keller ‒ um nur einen Eindruck der Vielfalt jener Jahrgänge zu geben ‒ erwarb die Musikabteilung Partiturautographe in großer Anzahl, um die "DDR-Musik" an exemplarischen Werken zu dokumentieren.
An dieses Erbe knüpft die nunmehr unter dem Label "Archiv für zeitgenössische Kompositionen" firmierende Sammlung seit einigen Jahren wieder aktiv an und ergänzt sie um weitere Einzelauotgraphe oder auch ganze Vor- und Nachlässe einschlägiger Komponisten. Zunehmend nimmt sie dabei auch kontextualisierendes Material wie Aufführungsmitschnitte, Skizzen, Ephemera, erklärende Lebensdokumente oder Fotos in unsere Sammlungen in den Blick, um nicht nur die Musik auf dem Papier, sondern die dazugehörigen Entstehungs- und Rezeptionsumstände zu dokumentieren.
Die Komponisten, für die das Archiv in seinen Ursprüngen begründet wurde, befinden sich mittlerweile in einer Lebensphase, in der sich Überlegungen zur dauerhaften Zugänglichkeit ihres Kunstschaffens aufdrängen. Diese Situation, obgleich tragisch, wird aus Sicht der Sammlung zum Glücksumstand einerseits und zur Herausforderung andererseits. Sie erhält derzeit einigen Zuwachs, macht das musikalische Erbe unserer jüngeren Vergangenheit damit aber breit zugänglich. Denn das "Archiv für zeitgenössische Kompositionen" reagiert nicht nur auf den Auftrag, als Gedächtnisinstitution kulturelles Erbe zu kuratieren. Nach einer knapp drei Jahrzehnte andauernden Ignoranz des Musiklebens gegenüber ostdeutscher Musik kann die SLUB inzwischen auch ein wieder wachsendes Interesse an jenen Werken von Seiten der Musikforschung und -praxis verzeichnen.
Dieser Neugier begegnen wir gern: Ein großes Anliegen ist es uns, die Musik der jüngsten Vergangenheit lebendig zu halten. Wir wollen sie nicht nur hinter Tresortüren für die Ewigkeit aufbewahren, sondern sie sicht- und hörbar machen. Neben der Erschließung und Digitalisierung (mit den bereits angesprochenen Einschränkungen) sehen wir deshalb eine unserer Hauptaufgaben in der Vermittlung. Regelmäßig veranstalten wir Konzerte, Quellenpräsentationen und Gesprächsformate auch und besonders zur zeitgenössischen Musik und machen sie auf diese Weise sinnlich und diskursiv erfahrbar. Die SLUB versteht sich so nicht nur als Archiv, sondern auch als Ort der kulturellen Begegnung und als wichtiger Veranstaltungsraum für zeitgenössische Musik in Dresden ‒ häufig auch in Kooperation etwa mit der Sächsischen Akademie der Künste oder dem Europäischen Zentrum der Künste HELLERAU.
Übrigens: drei wichtige Vertreter der ostdeutschen Musik stellen wir in den nächsten Wochen in verschiedenen Veranstaltungsformaten vor. Seien Sie dazu schon jetzt herzlich eingeladen und lernen Sie unser Archiv für zeitgenössische Kompositionen näher kennen!
Unsere nächsten Veranstaltungen
- Am Donnerstag, dem 7. März 2024 erklingt ab 19.30 Uhr im Klemperer-Saal der SLUB unter dem Titel „Variationen. Lothar Voigtländer im Porträt“ instrumentale Kammermusikwerke des Komponisten, interpretiert von den Musikern um Dionysis Pantis und ergänzt durch einen Vortrag Matthias Herrmanns zum vielseitigen Schaffen Lothar Voigtländers.
- Am Dienstag, dem 19. März 2024 präsentieren wir mit „Akribie und Leidenschaft – Wilfried Krätzschmar im Porträt“ in einem in Kooperation mit der Sächsischen Akademie der Künste veranstalteten Gesprächskonzert mit Wilfried Krätzschmar und Ekkehard Klemm auf dem Podium und dem Leipziger Bläserensemble Embrassement im Saal ebenso ab 19.30 Uhr Schaffen und Wirken des Komponisten, ehemaligen Rektors der Musikhochschule und vormaligen Präsidenten der Sächsischen Akademie der Künste.
- Am 2. Mai 2024 schließlich holen wir ‒ in Kooperation mit dem Sorbischen Institut ‒ um 19 Uhr Musik von Juro Metsk aus dem Archiv in unseren Klemperer-Saal.
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