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Vernunft, demokratische Spielregeln und verantwortungsvolle internationale Wissenschaft verdienen neuen Respekt.

Bei der Kundgebung "March for Science" am Sonnabend sprachen Dresdner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Theaterplatz über die Werte und Grundlagen für die Erforschung unserer Welt. Wir dokumentieren im Folgenden Prof. Bürgers Rede:  

 

Liebe Teilnehmer des March for Science,

 

in den letzten zwei Jahren haben wir es in unserer Stadt und auch an anderen Orten und in anderen Ländern erlebt:

 

  • Redner machen Stimmung gegen Minderheiten und verbreiten nationalistische und rassistische Parolen – und viele jubeln ihnen zu
  • In sozialen Netzwerken werden abenteuerliche Unterstellungen, Beleidigungen und Behauptungen verbreitet – und viele Follower liken diesen Unsinn
  • Eliten werden verspottet, wissenschaftliche Warnungen etwa vor dem Klimawandel und seinen Folgen für unsere Gesellschaften werden geleugnet.

 

Diesen Entwicklungen sind wir nicht hilflos ausgesetzt. Vernunft, demokratische Spielregeln und verantwortungsvolle internationale Wissenschaft verdienen neuen Respekt.

 

Wer sich Urteile über andere erlaubt, muss die anderen Menschen kennen: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben“, soll Alexander von Humboldt einmal gesagt haben. „The most dangerous of all worldviews are those of the people who have never looked at the world.”

 

Und der wohl wichtigste deutsche Philosoph Immanuel Kant (dessen 293. Geburtstag wir heute feiern) hat die Menschheit schon 1784 zur Selbstaufklärung aufgefordert: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Vor 233 Jahren schrieb Kant weiter: „Faulheit und Feigheit“ sind die Ursachen, warum wir gerne falschen Vorbildern hinterherlaufen. Wörtlich schreibt er: „Es ist so bequem, unmündig zu sein.“ Kant forderte Freiheit, die Anerkennung der Menschenrechte und eine öffentliche Streitkultur – so könne ein Publikum langsam zur Aufklärung gelangen.

 

Angesichts der aktuell in vielen Ländern zu beobachtenden Anti-Aufklärung benötigen wir umso mehr einen offenen, freien, fairen Umgang miteinander, wir müssen nicht die Wahrheit behaupten, sondern selbstkritisch nach der Wahrheit suchen. Ja, wir müssen uns der Wahrheitssuche überhaupt erst würdig erweisen, indem wir zivilisiert miteinander umgehen. Auch dies ist nicht neu: der große deutsche Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing, Schriftsteller und Bibliothekar, hat uns dies schon vor 250 Jahren aufgetragen. Für mich ist er bis heute das wichtigste Vorbild aus Sachsen.

 

Was können Bibliotheken heute zur Wahrheitssuche, zur Freiheit der Wissenschaft beitragen? Bibliotheken stehen allen Interessierten frei offen, um die Erkenntnisse und die Irrtümer der Geschichte zu studieren. Die SLUB öffnet täglich von 8 bis 24 Uhr, Studierende aus aller Welt arbeiten hier Tag für Tag miteinander. In einer Woche eröffnen die Städtischen Bibliotheken ihr neues Domizil im renovierten Kulturpalast, mitten im Zentrum. Alle haben in dieser Stadt freien Zugang zu guter Information. Fakten, die Wahrheit findet man nicht einfach so im Netz, man darf Erkenntnisse auch nicht plagiieren, von anderen abschreiben – man muss sich Fakten und Erkenntnisse schon selbst erarbeiten.

 

Wir Bibliotheken fördern im digitalen Zeitalter das Open Access-Publizieren. Alle Menschen auf allen Kontinenten sollen freien Zugang zum Wissen erhalten, denn sonst wird die Kluft zwischen arm und reich, zwischen Gebildeten und digitalen Analphabeten nicht kleiner, sondern größer. Information ist eine öffentliche Aufgabe, sie bedarf mehr denn je demokratischer Kontrolle und Transparenz. Information darf weder zur Ware noch zur Propaganda verkommen. 

 

Liebe Teilnehmer des March for Science, lasst uns aus der Vergangenheit lernen und vermeiden wir, alte Fehler zu wiederholen. Schützen wir die demokratischen Menschenrechte, die Freiheit von Presse und Wissenschaft.

 

Let us protect democracy and freedom of the press and science around the world. All people on all continents should be given free access to knowledge, otherwise the gap between rich and poor will not be smaller, but larger.

 


Thank you very much. Vielen Dank.

 

 

1 Kommentar(e)

  • Stefan Wehmeier
    23.05.2017 13:13

    "Wir werden also, bei sonst gleichen Verhältnissen, jenes Land als auf der höheren Stufe volkswirtschaftlicher Entwicklung stehend zu bezeichnen haben, in welchem der Mittelstand am meisten vertreten ist. Wo aber der Mittelstand sich in fortschreitender Auflösung befindet, dort haben wir eine direkt dem Verderben entgegenreifende Entwicklung vor uns, und zwar umso sicherer, je größer der Reichtum ist, welcher diesen Auflösungsprozess des Mittelstandes begleitet." 

    Prof. Dr. Gustav Ruhland (1860-1914) gehörte zu den ganz wenigen Nationalökonomen der jüngeren Geschichte, die ehrlich waren und für die das Folgende nicht zutraf:

    "Ich sah, dass den meisten die Wissenschaft nur etwas ist, insofern sie davon leben, und dass sie sogar den Irrtum vergöttern, wenn sie davon ihre Existenz haben." (Johann Wolfgang von Goethe)

    In seinem Werk "System der politischen Ökonomie" (1903 bis 1908) konnte Prof. Ruhland (der 1887 einen diesbezüglichen Forschungsauftrag von Reichskanzler Bismarck erhielt, der das Werk nicht mehr lesen konnte) über einen Zeitraum von drei Jahrtausenden und anhand von 22 über die Kulturgeschichte verteilten Volkswirtschaften im Detail nachweisen, dass alle Hochkulturen und Weltreiche in der Geschichte an der systemischen Ungerechtigkeit der Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz zugrunde gegangen sind. Die einzige Möglichkeit für einen Neuanfang ist ein Krieg zur umfassenden Sachkapitalzerstörung, damit nach dem Krieg wieder neues Zinsgeld in neue Sachkapitalien investiert werden kann. Unsere heutige "moderne Zivilisation" macht dabei keine Ausnahme, es besteht allerdings zu früheren Zeiten ein gravierender Unterschied:

    USA: 7260, Russland: 7500, Frankreich: 300, China: 260, Großbritannien: 215, Pakistan: 100-120, Indien: 90-110, Israel: 80, Nordkorea: 6-8.

    Die Zahlen benennen die aktuelle Anzahl der Atomsprengköpfe. Ohne die atomare Abschreckung wäre es spätestens in den 1980er Jahren zum Dritten Weltkrieg gekommen. Auf der anderen Seite hat darum heute – durch das Ausbleiben dieser "überfälligen Sachkapitalzerstörung" – die Zinsumverteilung sowohl innerhalb der Nationalstaaten als auch zwischen den Staaten ein solches Ausmaß erreicht, dass der Atomkrieg nicht mehr erforderlich ist, um unsere ganze "moderne Zivilisation" – von einem Tag auf den anderen – auszulöschen! Die Heilige Schrift bezeichnet dieses unmittelbar bevorstehende Ereignis als Armageddon. Angst? Die sollten alle haben! Warum hat keiner Angst? Weil die Religion die halbwegs zivilisierte Menschheit so schwachsinnig gemacht hat, dass sie es schon gar nicht mehr verdient, aufgeklärt zu werden:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2017/05/geld-religion-und-politik.html

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