SLUBlog
Einzigartiger Wissensschatz: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel jetzt komplett online verfügbar
Als eine der ältesten deutschsprachigen Fachzeitschriften spiegelt das "Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel" inzwischen 186 Jahre Druck-, Verlags- und Buchgeschichte. Es ist damit nicht nur ein lebendiges Kommunikationsmittel, sondern auch eine außergewöhnlich reichhaltige historische Quelle. Für den buchhändlerischen Alltagsgebrauch gedacht und meist auf einfaches Papier gedruckt, war das Börsenblatt bislang schlecht überliefert und schwer zugänglich. Im Rahmen des Sächsischen Landesdigitalisierungsprogramms für Wissenschaft und Kultur hat die SLUB in Kooperation mit der Historischen Kommission des Börsenvereins für den Deutschen Buchhandel über 100 Jahrgänge des Börsenblatts digitalisiert. Alle Ausgaben von 1834 bis 1945 sind frei online verfügbar (www.boersenblatt-digital.de).
Rund eine Million Digitalisate wurden produziert, langzeitarchiviert und mit Hilfe von Verfahren der automatischen Text- und Strukturerkennung (OCR) mit einem digitalen Volltext versehen. Die Vollständigkeit in Bild und Text ermöglicht sowohl qualitative als auch quantitative Auswertungen oder deren Kombination im Sinne einer digitalen Hermeneutik. Ein gewaltiges Projekt, das neue, komfortable Recherchemöglichkeiten für vielfältige Forschungsfragen schafft, wie das erste Feedback zur Seite zeigt:
"Herzlichen Glückwunsch - sehr schöne Seite, viel Material für Forschungen zur Geschichte von #Buch, #Buchhandel, #Medien, #Literatur, #Verlagen usw. und nicht zuletzt #Landesgeschichte! Der Börsenverein hatte seinen Sitz in #Leipzig, dem Druck- und Verlagszentrum in #Sachsen."
"In diesen eher trostlosen Corona-Zeiten eine jeden historisch interessierten 'Buchmenschen' fast glücklich machende Nachricht: DAS BÖRSENBLATT bis 1945 endlich online! Wie lange habe ich auf diesen Tag gewartet? Im Zuge meiner firmengeschichtlichen Forschungen ab Anfang der achtziger Jahre habe ich im Frankfurter Großen Hirschgraben im Archiv des Börsenvereins tagelang die Jahrgänge 1862 bis 1945 durchgesehen - eine enorme Arbeit, in den dickleibigen (Halb-) Jahrgangsbänden zu recherchieren. Später stand mir dann dort auch die Microfiche-Edition von K. G. Saur zur Verfügung und ich konnte davon sogar (qualitative recht mäßige) Ausdrucke machen. Nun ruft mir die Volltextsuche 2262 Treffer in 2070 Dokumenten auf! Auch wenn das nur der erste Versuch war, um mir einen Überblick zu verschaffen und die Treffergenauigkeit noch verbessert werden sollte - ich werde nun (leider und doch gerne) feststellen, wie viele Einträge ich damals bei meiner manuellen Suche übersehen hatte! Ich bin nun sehr begierig darauf, diese große Trefferzahl nach und nach zu überprüfen und einfach nur in 111 Jahren Buchhandelsgeschichte zu blättern. Herzlichen Glückwunsch an alle Verantwortlichen und Beteiligten zur Fertigstellung dieses großen, großartigen Projekts - wirklich wunderbar!"
Die erste Ausgabe vom 3. Januar 1834 umfasste acht Seiten und enthielt neben redaktionellen Inhalten und einem anonym abgedruckten Aufsatz von Friedrich Perthes über "Die Bedeutung des Deutschen Buchhandels, besonders in der neuesten Zeit" bereits einen Anzeigenteil. Ab der fünften Ausgabe erschien ein „Verzeichnis der Neuerscheinungen“, betreut von der Hinrichs’schen Buchhandlung in Leipzig. 1916 übernahm der Börsenverein, 1921 die Deutsche Bücherei die Bearbeitung der Bibliografie. Die Dreiteilung in redaktionelle Texte, bibliografischen Teil und Anzeigen bestand seitdem fort. Über Jahrzehnte erschien das Börsenblatt werktäglich. Bis zur Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre nahmen Auflage und Umfang des Blattes beinahe kontinuierlich zu. 1925 wurde die gewaltige Summe von 22.492 Seiten in 304 Ausgaben erreicht. Der umfangreiche Anzeigenteil bescherte dem Börsenverein erhebliche Einnahmen.
An den Anzeigen lässt sich der Wandel des jeweiligen Zeitgeistes, des typografischen Geschmacks und der Werbestrategien besonders gut ablesen. Im 19. Jahrhundert wechselten sich Phasen strenger Reglementierung der Anzeigengestaltung mit liberaleren Zeiträumen ab. Ab 1904 wurde der Satz endgültig freier, ab 1913 ein illustrierter Teil eingeführt. Im Kaiserreich bildete sich auch im Verlagswesen ein rasch wachsender Massenmarkt heraus, der etwa mit Unterhaltungs- und Kriminalliteratur neue Käuferkreise erschloss sowie Ansprüche und Lesegewohnheiten veränderte. In der Weimarer Republik zeigte sich inhaltlich wie formal die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Während einerseits kreativ für Werke der modernen Kunst und Literatur, Gesellschaftsreform oder Psychoanalyse geworben wurde, gab es andererseits Annoncen für revanchistische, antidemokratische oder antisemitische Bücher. Nach 1933 dokumentierte das Börsenblatt zunächst die tiefe Zäsur in der deutschen Druck- und Verlagslandschaft durch Verfemung und Verfolgung zahlreicher Akteure, später die Folgen fortschreitender Mangelwirtschaft. Nachdem bedeutende Verlage wie S. Fischer, Gustav Kiepenheuer, Erich Reiß, Malik oder Ullstein sowie zahlreiche großartige Autorinnen und Autoren empfindlich in ihrer Arbeit beeinträchtigt oder ganz vertrieben waren, verflachte die Buchproduktion zusehends. Die letzten Ausgaben vom Frühjahr 1945 umfassten nur noch wenige Seiten.
Was Buchgestalter und Werbefachleute wie Werner Beucke, Julius Gipkens, John Heartfield, Ludwig Hohlwein, Fritz Löwen oder Georg Salter vor allem in den 1920er Jahren in der Buchgestaltung hervorbrachten, war außerordentlich gekonnt und in mancherlei Hinsicht wegweisend. „Wenn ich nicht Peter Panter wäre“, schwärmte Kurt Tucholsky, „möchte ich Buchumschlag im Malik-Verlag sein.“ Inhaltlich dokumentiert das Börsenblatt Verläufe, die angesichts so vieler verlorener Verlagsarchive und anderer wichtiger Quellen anders kaum noch rekonstruierbar wären. Wie entwickelte sich der Schutzumschlag als Werbemittel und welche Verlage und Grafiker hatten daran maßgeblichen Anteil? Wie führte Ullstein seine legendäre Zeitschrift „UHU“ ein? Wann war der Erstverkaufstag von „Berlin Alexanderplatz“? Für welche Verlage arbeitete ein bestimmter Gestalter? Wie vollzog sich die „Arisierung“ sogenannter jüdischer Betriebe? Zu diesen und vielen ähnlichen Fragen gibt das Börsenblatt unverzichtbare Hinweise. Man kann jetzt zeit- und ortsunabhängig nachlesen, auf welch' unrühmliche Weise sich der Börsenverein in Leipzig 1933 den neuen Machthabern andiente. Genauso dokumentiert ist die außerordentliche Hauptversammlung des Börsenvereins 1887 in Frankfurt am Main, deren Ergebnis die Einführung der Buchpreisbindung war. Schöne Funde ermöglicht schließlich auch die Meinungsrubrik "Sprechsaal", in der oft ein harter Branchendiskurs gepflegt wurde.
Die digitale Edition des Börsenblatts umfasst rund 1,1 Millionen Seiten. Auch eine Volltextrecherche ist in der ersten Version bereits online. Mit neuen statistischen Lernverfahren auf Basis neuronaler Netze wird die erhebliche Varianz in den Vorlagen – für die maschinelle Texterkennung eine große Herausforderung – schrittweise besser bewältigt werden können. Auf den Webseiten der digitalen Edition entstehen zudem Austauschmöglichkeiten, um auf Grundlage des historischen Börsenblatts Forschungsfragen zu klären sowie neue Wege in das schier unerschöpfliche Quellenmaterial zu bahnen. Vorhang auf und noch viele Fragen offen …
Lassen Sie uns auch an Ihren Forschungsfragen teilhaben oder senden Sie uns gern Ihre Anregungen zur Plattform an kontakt@boersenblatt-digital.de!
Die digitale Edition des Börsenblatts 1834-1945 ist zugänglich unter www.boersenblatt-digital.de
Herausgeber: Historische Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V.
Wissenschaftliche Projektbegleitung: Prof. Dr. Christine Haug, Zentrum für Buchwissenschaft, Ludwig-Maximilians-Universität München
Produktion und Hosting: Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB)
Vorlagen: Buchhandelsarchiv des Börsenvereins sowie Leihgaben der Deutschen Nationalbibliothek
Dieser Artikel ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz
2 Kommentar(e)
@Woher kommt der Name "Börsenblatt"
Lieber Peter,
sorry, dass hier bisher noch niemand geantwortet hat. Der Name "Börsenblatt" stammt von der herausgebenden Institution, dem "Börsenverein der Deutschen Buchhändler". Bei diesem 1825 gegründeten Verein ging es ursprünglich tatsächlich um so etwas wie eine Börse.
Die Buchhändlerbörse organisierte eine möglichst einfache Abrechnung zwischen den Buchhändlern und Verlegern aus ganz Deutschland, als eine einheitliche Währung noch Zukunftsmusik war. Bald wurde der Börsenverein zu einer Interessenvertretung der Branche. Die Bezeichnungen "Börsenblatt" und "Börsenverein" hat die traditionsbewusste Buchhandels- und Verlagsbranche bis heute nicht aufgegeben. Weiterhin viel Freude mit dem neuen Angebot.
Woher kommt der Name „Börsenblatt“?
Woher kommt eigentlich der Name „Börsenblatt“?
Gab es früher Verlage oder Buchhandelsunternehmen, die an der (Aktien-)Börse tätig waren?