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Rückgabe von NS-Raubgut: SLUB übergibt Buch an Erben des Sozialdemokraten Hermann Ahlfeld
Wer war Hermann Ahlfeld, dessen Stempel sich im Protokoll der Verhandlungen des ... Reichskongresses der Betriebsräte Deutschlands befindet?
Eine erste Spur lieferte die auf dem Stempel erkennbare Adresse „Krummestr. 62, Berlin Charlottenburg“. Anhand des Berliner Adressbuches aus dem Jahr 1932 ließ sich ermitteln, dass Hermann Ahlfeld als Modelltischler in Berlin arbeitete und lebte.
Hermann Ahlfeld wurde am 10. April 1892 in Magdeburg geboren. Er war das älteste der sechs Kinder von Christoph und Sophie Ahlfeld. Sophie Ahlfeld betrieb ein kleines Geschäft und stellte somit den Lebensunterhalt der Familie sicher. Nach der Volksschule konnte Hermann Ahlfeld aus finanziellen Gründen das erwünschte Studium nicht anschließen, sondern absolvierte eine Lehre als Modelltischler. Nach seiner Ausbildung trat er 1927 eine Stelle als Fachlehrer für Tischlerei an der Gewerkschaftsschule in Berlin an. Hermann Ahlfeld war seit 1911 Mitglied der SPD und in der Arbeiterbewegung aktiv. Von 1932 bis 1933 war er Organisator und Leiter der Erwerbslosenwerkstätten in Berlin-Charlottenburg. In seiner Freizeit besuchte Ahlfeld Kurse in Philosophie und Modellbau an Berliner Universitäten. Sein Wissensdurst zeigt sich zudem in seiner großen Bibliothek, die im Jahr 1933 ca. 3.500 Bände umfasste.
Am 28. Juni 1933 emigrierte Ahlfeld nach Paris, nachdem er nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten als SPD-Mitglied zunehmenden Repressionen ausgesetzt war und ein Untertauchen in Berlin keine Sicherheit garantierte.
Dabei musste Ahlfeld einen Großteil seines Eigentums, darunter auch seine Bibliothek, in Berlin zurücklassen. Als von Frankreich anerkannter politischer Flüchtling konnte er zunächst in der Spielzeugfabrik „Jou-Jou“ in Paris als Modelltischler arbeiten. Hier lernte Ahlfeld auch die Bauhaus-Schülerin Marianne Heymann (1905–2003) kennen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Marianne Heymann als jüdisch verfolgt. Sie konnte 1933 aus Köln über Ascona (Schweiz) zu Verwandten nach Paris emigrieren.
Im Juni 1940 zwang die deutsche Wehrmacht Frankreich zur Kapitulation. Der Norden fiel unter deutsche Besatzung; im Süden hatte die von Deutschland abhängige Regierung von Vichy das Sagen. Bereits kurz vor der Besetzung Frankreichs wurden männliche Geflüchtete von den französischen Behörden als „unerwünschte Ausländer“ eingestuft und teilweise interniert. Hermann Ahlfeld war von September 1939 bis Mai 1941 in verschiedenen Internierungslagern inhaftiert. Marianne Ahlfeld-Heymann war als jüdisch Verfolgte 1940 im Lager Gurs, einem der größten Konzentrationslager unter der deutschen Besatzung und der französischen Kollaborationsregierung von Vichy, gefangen. Dank der Hilfe eines Pfarrers konnte sie 1941 flüchten. Das Paar fand in Montauban zusammen, ging gemeinsam in den Untergrund und überlebte versteckt in Südfrankreich den Holocaust. Unter Fluchtbedingungen und während der Kriegsjahre heirateten Hermann und Marianne Ahlfeld und bekamen zwei Kinder. Ein drittes Kind folgte nach Kriegsende.
Seit 1947 arbeitete Ahlfeld als Lehrer und Werkstattmeister in einem Jugendheim der Israelischen Jugend-Alija in Pougues-les-Eaux. Im Januar 1949 wanderte die Familie nach Haifa (Israel) aus. Hier verstarb Hermann Ahlfeld am 8. Februar 1983.
Zwei weitere Stempel geben einen ersten Aufschluss über den Weg des Buches nach der Flucht Ahlfelds aus Berlin im Jahr 1933. Da die Bezirksgewerkschaftsorganisation Groß-Berlin des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) in den Nachkriegsjahren gegründet wurde, kann das Buch erst nach 1945 in deren Besitz gelangt sein. Vermutlich hatte diese es an das Zentrale Antiquariat Berlin (Ost) abgegeben, von wo es 1967 die Sächsische Landesbibliothek ankaufte. Wie der FDGB das Buch erhielt, konnte bisher nicht ermittelt werden. Möglicherweise war es Bestandteil der von der Bibliothek des FDGB Groß-Berlin 1946 übernommenen Bibliothek der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Die DAF war als nationalsozialistische Einheitsgewerkschaft bis 1945 vor allem Empfängerin von NS-Raubgut aus sozialdemokratischem bzw. gewerkschaftlichem Kontext, wie auch der Restitutionsfall von an der SLUB identifizierten Bücher der Arbeiterkammer Wien zeigt.
Im Fall von erwiesenem NS-Raubgut betrachtet sich die SLUB als Nachfolgerin der SLB nicht als Eigentümerin der in ihrem Bestand befindlichen Objekte und bemüht sich um eine Rückgabe an die Rechtsnachfolger:innen bzw. um andere gerechte und faire Lösungen im Sinne der Washingtoner Erklärung von 1998. Hermann Ahlfeld wurde vom nationalsozialistischem Regime politisch verfolgt; Bücher aus seinem Eigentum sind als NS-Raubgut zu bewerten. Aus diesem Grund gab die SLUB im Dezember 2020 ein Buch der Provenienz Ahlfeld an seine Nachfahren zurück.
Das an die Familie Hermann Ahlfelds restituierte Buch wurde im Rahmen des von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts „NS-Raubgut in den Erwerbungen nach 1945“ identifiziert. Auch in der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin wurden acht Bücher aus dem Eigentum Hermann Ahlfelds ermittelt und Anfang 2020 restituiert. Die Provenienzrecherchen in Berlin und Dresden profitierten von einem gegenseitigen Rechercheaustausch.
Zum Weiterlesen:
Marianne Ahlfeld-Heymann: Und trotzdem überlebt. Herausgegeben von Erhard R. Wiehn. Konstanz: Hartung-Gorre Verlag, 1994.
Hedwig Brenner: Jüdische Frauen in der bildenden Kunst. Ein biographisches Verzeichnis. Geleitworte von Pina Navè Levinson und Margarita Pazi s.A. Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn. Konstanz: Hartung-Gorre Verlag, 1998.
Restituiertes Buch:
Reichskongreß der Betriebsräte Deutschlands: Protokoll der Verhandlungen des ... Reichskongresses der Betriebsräte Deutschlands. In: Gewerkschaftl. Betriebsrätezentrale d. Allg. Deutschen Gewerkschaftsbundes u. d. Arbeitsgemeinschaft Freier Angestelltenverbände 1 / 1920. (SLUB-Signatur: 1.A.3453)
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1 Kommentar(e)
Rückgabe von NS-Raubgut: SLUB übergibt Buch an Erben des Sozialdemokraten Hermann Ahlfeld
Sehr gut recherchierter, wohlformulierter und lehrreicher Blogpost - großes Lob!