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"Hallo, hallo?" – "Da staunt ihr, was?"

Wachszylinder, Mixtape, MiniDisc: das 20. Jahrhundert ist reich an kuriosen Medienschätzen. Einige von ihnen sind längst wieder von der Geschichte überspült worden – darunter auch die so genannten Sprechbriefe.

Ausschnitt der Platte

Ausschnitt der Platte, Foto: Martin Morgenstern

In eigens eingerichteten Aufnahmekabinen, ähnlich den Passbild-Sofortautomaten, konnten die Absender mit Hilfe eines Aufzeichnungsgrammophons ein, zwei Minuten lang eine Grußnachricht einsprechen. Mit der Post verschickt, landete die unikale Platte dann bei den Lieben daheim. Anhören konnten die Verwandten sie entweder direkt auf dem Postamt oder zu Hause mit einer speziellen Grammophonnadel, die der Sendung beilag. Aufgekommen waren die Sprechbriefe in den Vereinigten Staaten und schafften – obzwar recht kostspielig – in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts den Sprung nach Europa, wo sie an Bahnhöfen mondäner Urlaubsorte oder in den großen Kaufhäusern der Metropolen aufgenommen werden konnten.

In kaum einer öffentlichen Sammlung spielen solche Sprechbriefe heute eine größere Rolle; sind sie doch nie ein Massenmedium geworden, sondern blieben stets ein privates Kuriosum. Gerade deshalb aber geraten sie nun wieder in den Blick der Forschung. So hat etwa der US-amerikanische Medienwissenschaftler Thomas Y. Levin in den letzten Jahren Hunderte dieser ungewöhnlichen Platten gesammelt und ausgewählte Beispiele auf der Webseite phono-post.org zum Nachhören online gestellt. Die eingesprochenen oder -gesungenen Grüße geben seltene Zeitzeugnisse ab von damals ganz alltäglichen Dingen: Urlaubserlebnissen, Reiseerinnerungen und Familienbeziehungen.

Deshalb ist nun eine Schenkung als ziemlich einzigartig zu bewerten, die der Dresdner Nico Cüppers kürzlich der SLUB gemacht hat. Beim Ausräumen des geerbten Hauses fiel ihm eine kleine Schallplatte in die Hände, die den Aufdruck "Sprechbrief – Die eigene Stimme auf der Schallplatte" trug. Aufgeklebt war ein Passfoto eines akkurat gescheitelten Gentlemans mit Fliege und Nickelbrille – 'Joachim', wie die Hülle handschriftlich verriet. Mehr Informationen jedoch waren dem Schatz erst einmal nicht zu entlocken.

Weiterhelfen konnten Cüppers erst die Mitarbeiter der SLUB. Durch die Vermittlung von Christoph Bauer vom Programm "Sicherung des audiovisuellen Erbes in Sachsen" nahm sich Nathanael Wendt vorsichtig der Platte an und konnte mit Hilfe einer speziellen Grammophonnadel auch die eingesprochene Nachricht wieder hörbar machen: "Hallo, hallo?", meldet sich der adrette Herr bei den Seinen, wünscht seiner lieben Mutter ('chère mère') Freude und Gesundheit im neuen Lebensjahr und bedauert, nicht bei der großen Familienfeier dabeisein zu können. Das ungewöhnliche Medium ("Da staunt ihr, was?") erfordert hörbar Konzentration beim Einsprechen der vermutlich zunächst schriftlich festgehaltenen Grußnachricht; formvollendet verabschiedet er sich zum Schluß ("Womit ich die Ehre habe zu sein der Sohn des Hauses.") Aus welchem Jahr die Aufnahme stammt, verrät die Platte leider nicht – und leider kann auch Nico Cüppers keine weiteren Einzelheiten zur Herkunft seines Fundstücks berichten: Die Verwandten, die entsprechend hätten Auskunft geben können, sind vor Jahrzehnten verstorben. 

Immerhin: Eine digitalisierte Version des Sprechbriefes von 'Joachim' ist ab sofort hier online nachhörbar. Er ergänzt die ganz wenigen ähnlichen Archivalien, die sich bereits im Bestand der SLUB finden: eine Platte, aufgenommen "Zum Geburtstage 1931 seiner lieben Thea, besprochen von Helmut" (Fon-SNP-C 131), eine "To Gretel und Kurt from Lotte" (West London Recording, 1948, Fon-SNP-C 242) und eine im Potsdamer Astrophysikalischen Observatorium eingesprochene Grußnachricht des Astronomen und Sonnenforschers Harald von Klüber (1901-1978) an seine Verwandte Paula von Mühlberg (Fon-SNP-B 28998).

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