SLUBlog

Permalink

Dante lesen… und auch einmal so stehen lassen: Rainer Stillers, Vorsitzender der Deutschen Dante-Gesellschaft, im Interview

Im Rahmen des Dante-Jubiläumsjahrs berichten wir im SLUBlog in einer Themenreihe über die vielseitigen Facetten der Dante-Forschung in Dresden. Diesmal hat Betty Baumann von der TU Dresden für uns mit Rainer Stillers von der Deutschen Dante-Gesellschaft gesprochen. Rainer Stillers ist Professor für Romanistik im Ruhestand und seit 1992 Mitglied im Vorstand der Deutschen Dante-Gesellschaft (DDG), erst als Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit, dann als Herausgeber des Dante-Jahrbuchs, anschließend als Stellvertretender Vorsitzender. 2013 wurde er schließlich der Vorsitzende der DDG. Nun wurde auf der diesjährigen Jahrestagung der DDG nach acht Jahren sein Nachfolger gewählt. Gewissermaßen zum Abschied spricht er im Interview noch einmal über die Geschichte der DDG von ihren Anfängen über die Situation im geteilten Deutschland bis heute und gibt allen, die gerade anfangen, sich mit Dante zu beschäftigen, noch einen Rat mit auf den Weg.

1 von 33 Tafelbildern zu Dantes Göttlicher Komödie, gestaltet von Albert Hock. Ausgestellt auf der Jahrestagung der DDG 2009 in Würzburg.

1 von 33 Tafelbildern zu Dantes Göttlicher Komödie, gestaltet von Albert Hock. Ausgestellt auf der Jahrestagung der DDG 2009 in Würzburg.

Die Deutsche Dante-Gesellschaft war weltweit die erste Dante-Gesellschaft und wurde 1865 in Dresden gegründet. Mittlerweile hat sie seit 1921, mit Unterbrechungen durch die Teilung Deutschlands, ihren Sitz in Weimar. Warum hat man sich damals für Dresden entschieden und wie ist es dazu gekommen, dass die DDG knapp 60 Jahre nach ihrer Gründung Dresden doch noch den Rücken gekehrt und Weimar zu ihrem Hauptsitz erklärt hat?

Karl Witte hätte die DDG natürlich auch in Halle, Weimar oder Breslau gründen können. In all diesen Städten gab es ähnliche Verbünde von Dante-Forschern, aber in dem Moment war Dresden der günstigste und plausibelste Ort. Es gab Beziehungen zwischen Witte und Johann von Sachsen und Kontakte zwischen Johann und anderen Dante-Forschern. Der schlagende Punkt war aber die Ausstrahlung Dresdens und des Königshauses. Die Übernahme des Protektorats durch Johann von Sachsen war eine großartige Sache.

Über den Umzug nach Weimar ist nicht viel bekannt: 1914 gründete Hugo Daffner in Dresden zunächst die „Neue deutsche Dantegesellschaft“, weil es die alte zu diesem Zeitpunkt noch gab. Erst 1921 wurde ihr Sitz durch eine Entscheidung des Vorstands nach Weimar verlegt. Warum das passiert ist, ist unklar, es gibt nur eine Protokollnotiz aus der Hauptversammlung: „Beziehung der Gesellschaft zu Dresden geschwunden“. Weimar galt natürlich auch als geistiger Mittelpunkt Deutschlands und war außerdem Sitz der Goethe-Gesellschaft und der Shakespeare-Gesellschaft. Vielleicht erhoffte man sich hier also ein lebendigeres Vereinsleben.

Schon gewusst? 

Zu Beginn seiner Übersetzungs- und Forschungsarbeit begründete Prinz Johann eine „Accademia Dantesca“, der unter anderem Ludwig Tieck (1773-1858), Carl Gustav Carus (1789-1861) und Karl August Förster (1784-1841) angehörten. Dieses „Dante-Kränzchen“ war sozusagen die Keimzelle der Deutschen Dante-Gesellschaft, die Karl Witte (1800-1883) anlässlich des 600. Geburtstags Dantes 1865 unter der Schirmherrschaft König Johanns in Dresden gründete.

Der Dante-Apparat der SLUB Dresden enthält Johann von Sachsens („Philalethes“) eigenhändige Werkmanuskripte zur Übersetzung von Dantes „Divina Commedia“ (zu deutsch "Göttliche Kommödie") sowie diesbezügliche Briefe, Äußerungen von Zeitgenossen und Dante-Vorträge Prinz Johanns.

Wie haben sich die Aufgaben, die Mitglieder und auch der Wirkungskreis der DDG seit ihrer Gründung verändert?

Die Ziele der DDG haben sich natürlich zwangsweise über die Jahre geändert. Als erste Dante-Gesellschaft kooperierte sie ursprünglich international und strebte den internationalen Dialog an. Nach den Gründungen der amerikanischen, italienischen, englischen und französischen Dantegesellschaften hat die DDG diese Funktion natürlich verloren. Heute konzentriert sie sich auf die Vermittlung zwischen akademisch-institutionalisierter Dantistik und den Laien, denn unter den Mitgliedern gibt es natürlich viele Wissenschaftler, ein großer Teil sind heutzutage jedoch sehr engagierte nicht-professionelle Dantisten. Wir versuchen immer, zwischen diesen beiden Arten von Publikum einen Austausch herzustellen. In diesem Zusammenhang hat auch unser Mitteilungsblatt an Bedeutung gewonnen. Während das Jahrbuch eine wissenschaftliche Zeitschrift ist, die bereits von Karl Witte gegründet wurde, dient das Mitteilungsblatt seit mehr als 80 Jahren allen Mitgliedern dazu, sich äußern zu können. Regelmäßig schreiben hier auch Nicht-Wissenschaftler kleine Artikel und Beiträge über ihre Begegnungen mit Dante.

Wie die meisten literarischen Vereine veranstalten wir regelmäßig, in unserem Fall jährlich, eine Tagung, die zugleich die Mitgliederversammlung und Mittelpunkt des Vereinslebens ist. Dazu kommen das Jahrbuch, das Mitteilungsblatt und die Website. Über diese Kanäle geschieht sehr viel Austausch mit den Mitgliedern und unter den Mitgliedern selbst. Mittlerweile haben wir auch Emailkontakt zu drei Vierteln der Mitglieder und es gibt einen regen Emailaustausch.

Außerdem versuchen wir mit unserem Nachwuchs-Kolloquium auch jüngeren Dantisten einen Weg zu ebnen, in dem wir Gratismitgliedschaften und Reisekostenzuschüsse an Nachwuchswissenschaftler vergeben, damit auch sie am Tagungsleben teilhaben können.

Die 97. Jahrestagung, die vom 22. Bis 24.10. in Göttingen stattfand, widmete sich dem Thema „Dante lesen“ und damit den letzten 200 Jahren der deutschen Danteforschung und dem Wirken der DDG. Sie wollten laut Ankündigungstext erkunden, ob es einen spezifisch deutschen Beitrag zum kritischen Umgang mit der divina commedia gibt. Unterscheidet sich die deutschsprachige Dante-Rezeption denn von der in anderen Ländern, wenn ja wie und warum?

Ja und nein. Die Dante-Forschung im deutschsprachigen Bereich nimmt natürlich am internationalen Diskurs teil und ist deswegen nicht anders als die in anderen Ländern. Aus meiner eigenen Erfahrung mit Dante und der Romanistik kann ich nur sagen, es macht einen Unterschied, ob ein Italiener oder ein Deutscher Dante liest, denn trotz des gleichen Texts ist es für Deutsche eine Auseinandersetzung mit dem Fremden. Das merkt man sogar in wissenschaftlichen Vorträgen. Die italienischen Kollegen sind Dante auf eine andere Weise vertraut und nah, sie kennen die Orte, wissen wie es da aussieht. Für uns ist es ferner und hat einen exotischen Reiz. Wahrscheinlich ist es ähnlich, wenn sich ein Italiener mit Goethe beschäftigt.

Da wir uns im Rahmen des Jubiläumsjahres in diesem Blog ja im Speziellen mit dem Dresdner Blick auf Dante beschäftigen, stellt sich uns natürlich auch die Frage, ob es außerdem eine spezifisch ostdeutsche Dante-Rezeption gab. In der DDR war die DDG nicht als Verein anerkannt. Die ostdeutschen Dante-Enthusiasten haben sich vor allem im Umkreis der Kirche und unter Leitung des Zwickauer Pfarrers Otto Riedel in inoffiziellen Freundeskreisen getroffen. Hatte dieser Freundeskreis vor oder nach der Wiedervereinigung einen merklichen Einfluss auf die deutschsprachige Dante-Rezeption?

Als ich jünger war, wurden zu Beginn der Tagungen immer Grüße von Otto Riedel ausgerichtet und im Mitteilungsblatt gab es regelmäßig Beiträge von ihm, aber ich war zu jung, um dies angemessen zu würdigen. Seine Leistung wurde mir erst nach der Wende klar. Nach 1990 haben wir auch Tagungen und Vorstandssitzungen in Weimar, Dresden, Magdeburg oder Chemnitz veranstaltet. Dort waren Freunde aus dem Kreis Riedels dabei und ich habe gemerkt, dass sich die Diskussionen auf den Tagungen verändert haben. Vorher wurde dort streng zwischen Leben und Literatur unterschieden, es war alles sehr nüchtern. Auf einmal gab es in den Diskussionen aber Beiträge, aus denen ganz persönliche Überzeugungen sprachen. Da habe ich verstanden, dass das Menschen aus der ehemaligen DDR waren, die geprägt waren von einem ethischem und politischen Ernst, den ich so auf Tagungen noch nicht erlebt habe. Besonders imponiert hat mir auch Wolfgang Hradsky. Er hat die Dante-Arbeit in der DDR von Riedel übernommen und Bildung immer mit einer klaren politischen und christlichen Überzeugung verbunden, was mich sehr beeindruckt hat. Mehr Informationen dazu findet man auch in Frank-Rutger Hausmanns sehr interessantem Buch über die Dante-Gesellschaft im geteilten Deutschland.

Mit ihrer Tagung wollen Sie bewusst den Fokus auf die (deutschsprachige) Philologie lenken. Im Gegensatz dazu konnten in den letzten Jahren vor allem popkulturelle Aneignungen und Aktualisierungen des Commedia-Stoffes in die Aufmerksamkeit der internationalen Dante-Forschung gewinnen. Bedauern Sie die Dominanz der popkulturellen Themen zu Lasten der philologischen Auseinandersetzung ein wenig?

Im Gegenteil, die popkulturelle Auseinandersetzung könnte noch stärker berücksichtigt werden. Beides sind Zugänge zum Stoff: Das eine ist der Text, den wir nüchtern analysieren müssen. Das andere sind produktive Dante-Rezeptionen, z.B. in der bildenden Kunst (Robert Rauschenberg, Dali), im TV, in Form von PC-Spielen, oder auch wenn Schriftsteller auf Dante zurückgreifen und auf diese Weise neue Bücher, Comics oder Graphic Novels entstehen. Das alles zeigt, dass es einen Bezug zwischen dem Dante-Text und der aktuellen Welt gibt. Außerdem hat Dante selbst popkulturell gearbeitet, weil er ja, unter viel Kritik, auf Italienisch schrieb, also in der Volkssprache. Das war im Grunde Popkultur.

Jede Interpretation eines Textes, „verbraucht“ den Text auch zum Teil, sagte mal ein Kollege. Und er hat irgendwie recht. Auch die akademische Interpretation verbraucht die Texte. Man muss den Text auch mal so stehen lassen und naiv lesen können. Ich sage immer den Jüngeren, sie sollen bloß vorher keine Sekundärliteratur lesen. Auch Kunstwerke oder moderne Aneignungen muss man mal so stehen lassen und darf sie nicht zerreden mit „Eigentlich ist das bei Dante so…“. Aber die Wissenschaft kann und muss natürlich auch hinterfragen „Warum ist das jetzt so?“ Es ist ein Nebeneinander und Miteinander.

Weitere Beiträge zu Dante im SLUBlog

Kommende Veranstaltungen im Rahmen des Dante-Jubiläumsjahres an der SLUB
06.12.2021: Prinz Johann von Sachsen 1821/22 - Eine Reise zu Dante
09.12.2021AlDante: Künstlerische Interpretationen der Divina Commedia

Creative Commons Lizenzvertrag

Dieser Artikel ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz

0 Kommentar(e)