SLUBlog
From Leipzig with Love
Ein neuer Bond-Film mit einem jungen, gutaussehenden Sean Connery erregte 1963 die Kinogemeinde. Der Bösewicht in »From Russia with Love« wird gleich zu Beginn eingeführt: Kronsteen, ein tschechoslowakischer Schachgroßmeister, besiegt im Finale der Schachweltmeisterschaft spielend seinen kanadischen Gegner. Die gespielte Partie basierte auf den Spielzügen einer heute legendären Partie aus dem Jahr 1960, als der blutjunge Leningrader Großmeister Boris Spasski seinen Gegner mit einem Turmopfer überwältigte.
Die Welt sah in jenen Jahren ein physisches und psychologisches Wettrüsten der Mächte dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs. Schach war dabei eines der propagandistischen Mittel – und erfreute sich erstaunlicher Popularität. Über 75.000 Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgten etwa die Spiele der 14. Schacholympiade, die vom 26. Oktober bis zum 9. November 1960 in Leipzig stattfand. Selbstredend dominierte die sowjetische Mannschaft auch diese Olympiade. Die Männer um den Weltmeister Michail Nechemjewitsch Tal, der in Leipzig seinen 24. Geburtstag feierte, holten in den 44 Partien des Finales 34 Punkte. Nur eine einzige Partie von den 80 gespielten ging verloren. Dass indes gerade die US-Amerikaner, unter ihnen der junge Großmeister Bobby Fischer, den zweiten Platz erkämpften, erregte Aufsehen. Die Mannschaft der Deutschen Demokratischen Republik (u.a. mit dem gerade 25jährigen Dresdner Wolfgang Uhlmann) erkämpfte den neunten Platz der Mannschaftswertung, einen Platz hinter ihren westdeutschen Kollegen, unter denen sich der in Radebeul geborene Lothar Schmid befand, hauptberuflich Leiter des nach Bamberg umgezogenen Karl-May-Verlages. Das sogenannte "Jahrhundertspiel" zwischen Fischer und dem späteren Schachweltmeister Boris Spasski mit Schmid als Schiedsrichter, ausgetragen 1972 in Reykjavík, warf damals bereits seinen Schatten voraus...
Ein jüngst im Rahmen des SAVE-Programms digitalisierter Film über die republikweit koordinierten Vorbereitungen und die minutiös geplante Durchführung der Schach-Olympiade, die im Leipziger Ring-Messehaus stattfand, ist Teil einer neuen Sonderausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig. In der Ausstellung mit dem Titel »Ehrenplatz – Eure Geschichten. Eure Schenkungen. Euer Sportmuseum!« (Laufzeit: 21. September 2022 bis 26. Februar 2023) werden Ausschnitte des Films neben anderen interessanten Schenkungen gezeigt. Der Film weist die Schach-Olympiade als hochpolitisches Ereignis aus; die Deutsche Demokratische Republik wollte so zwei Jahre nach der Ausrichtung der Olympiade in München (BRD) selbstbewusst ihren Platz unter den Völkern der Welt behaupten. Im Begleitkommentar heißt es unter anderem: "Die Repräsentanten waren dort zu Gast, wo heute die neue Welt ist: im sozialistischen Lager, im Herzen des neuen Deutschland. (...) Die Tage von Leipzig wirken fort zum Nutzen und zum Ruhme des Friedens und der Völkerfreundschaft; zur Ehre unserer Republik." Ausführlich werden im Film etwa auch die Einsendungen aus vielen Ländern für eine große Ausstellung, betitelt »Schach im Wandel der Zeiten«, vorgeführt und erläutert.
Der digitalisierte Film »Gens una sumus – Wir sind eines Geistes« und der Film »Wir waren dabei« über das der Olympiade vorgeschaltete »Kleine Olympische Turnier«, bei dem 182 DDR-Mannschaften aus den Schachclubs von Halle, Artern, Eilenburg, Schwarzheide, Pankow oder Rostock die Vorrunden bestritten, geben von dieser weltbewegenden Olympiade ein hochinteressantes Zeitzeugnis ab. Beide Filme sind ab sofort in der digitalen Mediathek der SLUB katalogisiert.
Weiterführende Links
Retrospektive zur Schacholympiade 1960 in Leipzig auf Chessbase.com
Im Archiv geblättert: Die Schacholympiade Leipzig 1960 im Blog "Schöner Schein"
Ausstellung
EHRENPLATZ. Eure Geschichten. Eure Schenkungen. Euer Sportmuseum!
21.9.2022 – 26.2.2023
Studioausstellung des Sportmuseums Leipzig
Haus Böttchergäßchen, Böttchergäßchen 3, 04109 Leipzig
Dieser Artikel ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz
0 Kommentar(e)