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„Ohne Toleranz ist die Demokratie zum Scheitern verurteilt“
Am 16. November ist der Internationale Tag der Toleranz. Er geht zurück auf die Unterzeichnung der „Erklärung von Prinzipien der Toleranz“ von 185 UNESCO-Mitgliedsstaaten im Jahr 1995. Damals wie heute gilt: Wo es an Toleranz fehlt, stehen Frieden und Freiheit auf dem Spiel. Im Interview sprechen Prof. Dr. Roswitha Böhm (Prorektorin Universitätskultur der TU Dresden) und Dr. Julia Meyer (stellv. Generaldirektorin der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden) über die Unverzichtbarkeit und Grenzen von Toleranz und ihr gemeinsames Engagement für mehr Demokratie und Weltoffenheit.
Wann wurde Ihre Toleranz zuletzt herausgefordert?
Prof. Dr. Roswitha Böhm: In Momenten von Intoleranz gegenüber Denk- und Lebensweisen, von denen Menschen meinen, dass sie kulturell nicht zu akzeptieren seien, wird meine Toleranz auf die Probe gestellt. Das erlebe ich häufig zum Beispiel in Bezug auf die Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt.
Dr. Julia Meyer: Manchmal fällt es leichter, sich fremden Menschen gegenüber tolerant zu zeigen als der eigenen Familie. Das ist aktuell für mich die größte Herausforderung.
Warum ist Toleranz – gerade im Hinblick auf Meinungsvielfalt – so wichtig?
Meyer: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, der Gedanke der Gleichberechtigung ist in unserem Grundgesetz verankert. Toleranz ist wichtig, um diesen Grundsatz im alltäglichen Zusammenleben zu ermöglichen. Sie ist unabdingbar für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für die Stabilität der Demokratie.
Böhm: Toleranz ist ohne Respekt gegenüber anders Lebenden und Denkenden nicht möglich. Dieser Respekt darf gerade im gesellschaftlichen Diskurs nie verloren gehen. Meinungsvielfalt bereichert unser gesellschaftliches Miteinander – sei es im persönlichen Zwiegespräch oder bei den großen globalpolitischen Auseinandersetzungen. Die Demokratie lebt davon, dass wir im Austausch miteinander stehen. Gegenseitiges Zuhören, respektvolles Streiten, Perspektivenwechsel üben – dies scheinen mir die Grundlagen für Toleranz und Meinungsvielfalt zu sein. Nur unter dieser Voraussetzung können wir Menschen in Freiheit denken und leben.
Wie tolerant muss man gegenüber Intoleranz sein? Wo hat Toleranz ihre Grenzen?
Meyer: So wie das Grundgesetz Gleichbehandlung festschreibt und Meinungsfreiheit gewährt, zeigt es zugleich auch klare Grenzen auf – nämlich immer dann, wenn andere Menschen in ihren Rechten beschnitten und diskriminiert werden. „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“, schrieb Rosa Luxemburg im Gefängnis.Am Rosa-Luxemburg-Platz in Dresden erinnert am Eingang in die Wigardstraße ein Denkmal an das für die Demokratie so wichtige Zitat. Der Platz für das Denkmal ist gut gewählt und kann als Eingangspforte zur Sächsischen Staatskanzlei, zum Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie zum Ministerium für Justiz- und Demokratie, Europa und Gleichstellung gelesen werden.
Böhm: Wenn wir Meinungsvielfalt leben und es mit der Toleranz ernst meinen, dann müssen wir in der Lage sein, in unserem gesellschaftlichen Dasein auch mit Intoleranz umzugehen. Das heißt nicht gleich, diese zu tolerieren. Vielmehr müssen wir in solchen Momenten von unserer Diskursfähigkeit Gebrauch machen und das Gespräch suchen – auch auf die Gefahr hin, dass wir unser Gegenüber nicht zum Nach- oder gar Umdenken bewegen können.
Warum setzen sich Ihre Institutionen für Toleranz ein?
Böhm: In unserer Universität leben wir ein Miteinander, das von gegenseitigem Respekt getragen wird. Wir leben aber auch berufsmäßig eine Offenheit und Neugier, die eben nicht von Skepsis gegenüber dem Unbekannten und Fremden geprägt ist. Als Wissenschaftler:innen suchen wir das Neue und erkennen dessen Potentiale – nicht nur unsere Forschungsthemen betreffend, sondern auch in der Zusammenarbeit mit Menschen weltweit. Wissenschaft lebt von innovativen, auch wieder revidierten Positionen, von Denkbewegungen und von Austausch. Wissenschaft und gesellschaftlicher Zusammenhalt sind zum Scheitern verurteilt, wenn wir Dialogbereitschaft als Grundlage von Toleranz unterbinden. Als Forschungs- und Bildungseinrichtung tragen wir mit den bei uns gelebten Prinzipien der Wissenschaft und des Miteinanders eine große soziale Verantwortung.
Meyer: Die Gleichheit vor dem Gesetz und die Umsetzung der demokratischen Werte müssen kontinuierlich geleistet werden. Zur Verteidigung der Demokratie reicht es nicht, sich auf demokratische Werte zu berufen, sondern wir müssen auch überlegen, welche Bedingungen für eine lebendige Demokratie notwendig sind und sie sowohl politisch als auch gesellschaftlich schaffen. Demokratie ist kein Zustand, sondern ein Prozess, eine Daueraufgabe.
Bibliotheken sind Orte der Demokratie. Die SLUB ist offen für alle, sie bietet nicht nur kostenfreien Zugang zu Wissen, sondern auch ein umfangreiches Schulungsangebot, um Recherchekompetenz auszubilden und wissenschaftlich fundierte Aussagen von sogenannten „Fake News“ unterscheiden zu können. In unserem kulturellen Veranstaltungsprogramm, das wir gemeinsam mit Kooperationspartnern entwickeln und durchführen, werfen wir gesellschaftspolitische Fragen auf und laden bei Gesprächsabenden zur Diskussion ein. Gemeinsam mit der TU Dresden haben wir verschiedene Aktionen zur Demokratieförderung geplant, darunter auch der Workshop zu Toleranz und Meinungsvielfalt.
Was erwartet die Teilnehmenden beim Workshop „MEINUNGSVERSCHIEDENHEIT“?
Böhm: Der Workshop trägt nicht ohne Grund den Titel „Meinungsverschiedenheit“. Zum einen geht es um die Vielfalt der Meinungen, die den Kern unserer Demokratie bildet; zum anderen aber auch um den Umgang mit Meinungsverschiedenheit im Sinne respektvollen Debattierens. Die Teilnehmenden setzen sich intensiv mit den Mechanismen der Meinungsbildung auseinander. Verschiedene Übungen animieren sie dazu, Selbst- und Fremdbilder zu überprüfen. Die Teilnehmenden erproben außerdem, mit den Meinungen anderer umzugehen, auch wenn diese nicht der eigenen entsprechen – und zwar ohne selbst vorschnell zu urteilen.
Sind in Zukunft weitere gemeinsame Angebote von TUD und SLUB geplant?
Meyer: Ja, die Zusammenarbeit zum Tag der Toleranz soll erst der Anfang sein. Für 2023 haben wir uns viel vorgenommen. Anlässlich ausgewählter Aktions- und Gedenktage möchten wir auch im kommenden Jahr kostenlose, öffentliche Veranstaltungen anbieten, die unsere demokratischen Werte in den Vordergrund stellen. Aktuell planen wir ein Programm rund um die Internationalen Wochen gegen Rassismus.
Hintergrund:
Anlässlich des Internationalen Tages der Toleranz (16.11.) bieten die Technische Universität Dresden und die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) an zwei Terminen im November den Workshop „MEINUNGSVERSCHIEDENHEIT“ an. Dieser befähigt die Teilnehmenden dazu, die eigenen Ansichten zu hinterfragen und mehr Toleranz für andere Meinungen zu entwickeln. Mehr Informationen und Anmeldung unter https://tud.link/j65y.
Termine:
- Donnerstag, 17.11.2022, 18-21 Uhr, SLUB (Zellescher Weg 18, 01069 Dresden)
- Donnerstag, 24.11.2022, 18-21 Uhr, Stadtteilbibliothek Gorbitz (Merianplatz 4, 01169 Dresden)
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