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CORPUS 2023 – Ausstellung von Bastian Gehbauer zum Fellowship der Deutschen Fotothek
Das Archiv anders zu sichten, eine künstlerische Produktion zur Sammlung anzuregen, die wiederum zurückwirkt auf die zukünftige Arbeit mit dem Bestand, war die dem Fellowship zugrunde liegende Idee. Doch wie sich zurechtfinden? Welche fotografischen Werke aus den über 7 Millionen Bilddokumenten aufgreifen? Bastian Gehbauer durchforstete zunächst systematisch die Bestände der Deutschen Fotothek, mal direkt vor Ort, mal auf der Website von seinem Atelier in Berlin aus. Dabei suchte er nach Bildern, die nicht vordergründig eine eigene fotografische Handschrift aufweisen, recherchierte nach dem Besonderen, dem Abstrakten, nach etwas, das aus der festen Ordnung der Sammlung heraustritt. Schließlich werde – so Gehbauer – in einem Archiv alles kategorisiert, alles einer Ordnung unterworfen. Alle Objekte müssen im Idealfall eindeutig zugeordnet werden, sodass mit ihnen gearbeitet werden kann.
Auf seiner Suche stieß Gehbauer schließlich auf das Werk des Dresdner Möbelfotografen Friedrich Weimer (1913–2008), der sich auf diesen Zweig der Sachfotografie spezialisiert hatte, beginnend in den 1950er Jahren mit Aufträgen für die Leipziger Messe und verschiedene Möbelhersteller, von 1972 bis 1990 dann als offizieller Fotograf des Industriezweigs Vereinigte Möbelindustrie (VMI) mit einem besonderen Schwerpunkt auf den Deutschen Werkstätten Hellerau. Diese Auftragsarbeiten zeichnen sich durch eine klare Formensprache aus. Einrichtungsgegenstände und Raumarrangements wurden attraktiv in Szene gesetzt, Funktionalitäten klar hervorgehoben.
Doch zwischen den über 16.500 Schwarzweiß- und Farbnegativen Weimers in der Sammlung der Deutschen Fotothek entdeckte Bastian Gehbauer etwas Ungewöhnliches, etwas Rätselhaftes. Einige Fotografien fallen aus dem Rahmen des Gegenständlich-Konkreten, wirken entrückt und widersprechen jeder konsumistischen Inszenierungspraxis. Bastian Gehbauer hatte gefunden, was er suchte. Im Interview sagt er: „Das sind Bilder, die Weimer nie ausgestellt hätte. Die sollten nie genutzt werden, denn sie folgen keiner Verwertungslogik. Man weiß eigentlich gar nicht, was man da sieht und es bleibt auch rätselhaft, für was diese Bilder eigentlich angefertigt wurden.“ Gerade durch diese Kontextlosigkeit der Bildmotive würde das Prinzip der Autorschaft aufgebrochen werden, sagt Gehbauer. Und genau das breche auch das Prinzip des Archivs auf.
17 dieser Bilder hat Bastian Gehbauer für die Arbeit CORPUS (2023) zusammengestellt, deren Titel in diesem Zusammenhang auf das lateinische Wort für „Sammlung“ bzw. den „Körper“ des Archivs verweist. In Zeiten der Digitalisierung steht das Internet stellvertretend für das größte aller Archive. Algorithmen und Künstliche Intelligenzen versuchen, neue Ordnungen in die verschlagwortete digitale Welt zu bringen. Die Benutzer:innen brauchen Orientierung, sind auf Zuordnung und Bewertung von Programmen angewiesen, um sich in der Fülle von Inhalten zurechtzufinden, um sie tatsächlich verstehen und nutzen zu können.
Das Unentzifferbare an den ausgewählten Weimer-Fotografien brachte Bastian Gehbauer auf den Gedanken, eine KI die Bildbeschreibung übernehmen zu lassen. Diese wies er an, die Bilder zu interpretieren, einzuordnen und in einen Sinnzusammenhang zu stellen. Herausgekommen sind teils völlig absurde und verfehlte Interpretationen der Inhalte.
„Es geht bei CORPUS (2023) eigentlich um die Rezeption von Fotografie durch KI“, bemerkt Gehbauer. „Es war interessant zu sehen, dass sich die KI vor allem an formal-ästhetischen Kriterien orientierte und sich noch weiter vom praktischen Gebrauchskontext entfernte.“ Viele der Motive wurden etwa als Skulpturen fehlinterpretiert und anderen Künstler:innen falsch zugeordnet.
Das eröffne spannende Interpretationen über den Umgang mit Fotografie in Zeiten der Digitalisierung, erläutert Gehbauer weiter. „Die Einordnung der KI zeigt, wie der Umgang mit Fotografie die Wahrnehmung von Realität verändert.“ Schließlich werde hier mit der Selbstsicherheit einer Maschine Wissen behauptet, wo keines ist. Die unbedarften Rezipient:innen würden den Inhalt der Bildunterschrift glauben müssen, weil keine alternative Quelle vorhanden sei.
Die Fotografien Weimers sowie die Bildunterschriften der KI arbeitete Gehbauer schließlich in Form von 17 Pigmentdrucken zu CORPUS (2023) aus. Derzeit wird eine Auswahl aus gerahmten Objekten im Ausstellungsraum bautzner69 gezeigt. Als leinenbezogene Kassette mit allen Motiven – die aktuell auch in der Ausstellung „Dunkelkammer“ im Buchmuseum der SLUB zu sehen ist (bis 11.01.2025) – wird CORPUS (2023) zukünftig die Sammlung der Deutschen Fotothek bereichern.
Deutsche Fotothek Fellowship. Bastian Gehbauer. CORPUS (2023)
bautzner69 / publish&print, Bautzner Str. 69, 01099 Dresden
24.05. bis 29.06.2024
Öffnungszeiten: Do–Sa 16–19 Uhr und nach Vereinbarung
www.publishandprint.de
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