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Am 27. Januar 2023 findet der Internationale Holocaust-Gedenktag statt: Warum auch die SLUB zu einem Erinnerungsort geworden ist
In den letzten Jahrzehnten sind in mehreren europäischen Ländern Holocaust-Gedenktage eingeführt worden. Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ist in Deutschland am 27. Januar – dem Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee – seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. Einen Höhepunkt der Entwicklung eines zentralen Gedenktages stellt die Entscheidung der UNO aus dem Jahr 2005 dar (Resolution 60/7), den 27. Januar zum „International Holocaust Remembrance Day“ (Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust) mit Zeremonien und Gedenkveranstaltungen zu erklären. So findet beispielsweise im Deutschen Bundestag jährlich eine Gedenkstunde statt, bei der an die Opfer erinnert wird. In diesem Jahr stehen jene Menschen im Mittelpunkt, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden.
Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ist vor allem ein Synonym für die industrielle Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden. Es nimmt damit eine herausragende Stellung in der Erinnerung an den Holocaust ein. Der Internationale Holocaust-Gedenktag steht für die Erinnerung an die Opfer des nationalsozialistischen Antisemitismus und Rassismus.
Erinnerungszeremonien wie das Niederlegen von Kränzen oder das Projekt „Lichter gegen Dunkelheit“ sind geknüpft an Orte (ehemals) jüdischen Lebens oder an Gedenkstätten. Zwar ist die SLUB kein solcher Ort, doch finden sich in ihren Beständen Spuren, die auf während der NS-Zeit verfolgte Personen und Institutionen hinweisen. Ein Teil der Vorbesitzer:innen von hier verwahrten Büchern wurde im KZ Auschwitz ermordet: Die Bücher und ihre ehemaligen Eigentümer:innen wurden in mehreren Projekten identifiziert, die der Suche nach sogenanntem NS-Raubgut in der SLUB dienen.
Im Bestand der Zweigbibliothek Medizin konnte anhand eines Stempels ein Buch aus dem ursprünglichen Eigentum des Zahnarztes Otto Pachner (1883–1944) identifiziert werden. Er wurde gemeinsam mit seiner Frau Markéta Pachnerová am 6. März 1943 von Prag in das KZ Theresienstadt, am 23. Oktober 1944 weiter nach Auschwitz deportiert und ermordet. Das Ehepaar hatte drei Kinder; von der Familie überlebte nur ein Sohn den Holocaust.
In einem größerem Konvolut, das 1954 der Sächsische Landesbibliothek zugegangen war, konnten zahlreiche Vorbesitzer:innen ermittelt werden, die aus der ehemaligen Tschechoslowakei stammten, über das KZ Theresienstadt nach Auschwitz deportiert wurden und dort ermordet worden sind. In drei Fällen wurden die bereits an deren Erb:innen zurückgegeben: Růžena Rosalie Kürschnerova, Ilse Weber und Ernst Kalmus.
Die Schicksale anderer Vorbesitzer:innen verweisen wiederum auf die systematische Vernichtung von Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten. Der Stempel des Kinder- und Altersheims Berlin-Niederschönhausen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin erinnert an das Schicksal seiner Vorgängereinrichtung, dem Jüdischen Säuglings- und Kleinkinderheim Berlin, sowie an dessen medizinisches Personal und seine Patient: innen.
Auf der damaligen Moltkestraße 8-11 wurde 1915, zurückgehend auf das 1903 gegründete „Fürsorgeverein für hilflose jüdische Kinder e.V.", ein Säuglings- und Kleinkinderheim eingerichtet. Es bot vielen hundert Kindern ein Zuhause. 1942 wurde die Institution liquidiert. Eine Gedenktafel erinnert an die 150 Kinder und deren Krankenschwestern, die nach Auschwitz deportiert und in der Shoah ermordet wurden.
In weiteren vier Bänden finden sich Besitzspuren des Arztes Willy Katz. Dr. Willy Katz (1878–1947), ein in Dresden praktizierender jüdischer Arzt und Sportmediziner, überlebte den Holocaust.
Im Jahr 1939 wurde Katz als „Krankenbehandler“ für die jüdischen Arbeitnehmer Dresdens verpflichtet. Zudem war er für die medizinische Überwachung der „Judenhäuser“ zuständig und bis März 1943 wurde als Lagerarzt des Judenlagers Hellerberg eingesetzt. In der Nacht vom 2. zum 3. März 1943 wurden alle Insassen des Lagers über den Güterbahnhof Dresden-Neustadt nach Auschwitz deportiert, die meisten dort nach Ankunft sofort ermordet.
Direkt am Güterbahnhof Dresden-Neustadt – auch Alter Leipziger Bahnhof genannt – entwarf der Künstler David Adam anlässlich des 80. Jahrestages der ersten Deportation sächsischer Jüdinnen und Juden am 21. Januar 1942 in Dresden die Installation „Wann – Wie viele – Wohin“. Neben drei Bahnhofsschildern mit den titelgebenden Worten verweisen zwei kleinere Tafeln mit QR-Codes auf die Website „Wann – Wieviele – Wohin“. Auf dieser finden sich Informationen zu den Deportationen aus Dresden, Initiativen, die zum Thema Erinnerungskultur in Dresden arbeiten, sowie eine Übersicht zu ähnlichen Orten und den dortigen Umgang mit deren Geschichte.
Salcia Geyer lebte mit ihren Kindern Cäcilie, Minna und Max auf der Mathildenstraße 15 in Dresden. Sie wurden als jüdisch verfolgt. Salcia Geyer wurde am 20./21. Januar 1942 von Dresden nach Riga deportiert, am 5. November von Riga nach Auschwitz und dort ermordet. Ihren Töchtern Cäcilie und Minna gelang die Emigration nach England, ihr Sohn Max wurde 1938 nach Dachau deportiert, dort 1939 entlassen. Auch ihm gelang die Emigration. Im Bestand der SLUB konnte ein Buch mit dem Autogramm Max Geyers identifiziert werden. Im Rahmen einer Gedenkzeremonie, bei welcher Stolpersteine für die vier Familienmitglieder verlegt wurden, konnte das Buch den Nachfahr:innen zurückgegeben werden.
Alle Besitzspuren, die NS-Raubgut anzeigen, werden im Online-Katalog der SLUB veröffentlicht (Beispiel der Bücher von Růžena Rosalie Kürschnerova und Ilse Weber). Dabei werden sie zu den Fotografien der Provenienzmerkmale in der Deutschen Fotothek verlinkt. Alle Restitutionsfälle werden in Form von Falldossiers auf dem Dokumentenserver Qucosa in der Reihe „Provenienzforschung in der SLUB“ veröffentlicht. Entscheiden sich die Rechtsnachfahr:innen, dass das oder die Bücher im Bestand der SLUB verbleiben sollen, erhalten die Bände einen Einleger. Dieser verweist auf die Vorbesitzer:innen und deren Schicksal.
Mit diesen digitalen und analogen „Stolpersteinen“ möchte die SLUB zum einen ihre Geschichte und jene der Bücher transparent darstellen, zum anderen an die Vorbesitzer:innen erinnern.
In Rahmen von Provenienzforschungsprojekten, aktuell zu den Beständen der ehemaligen Universitätsbibliothek Dresden, werden systematisch die Vorbesitzer:innen der Bücher dokumentiert und soweit wie möglich recherchiert. Einen Fokus bilden dabei Personen und Institutionen, bei denen eine Verfolgung durch die Nationalsozialisten vermutet wird.
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4 Kommentar(e)
Gedenktafel-Text schlecht lesbar
Schade, dass auf der Gedenktafel am Bahnhof Dresden-Neustadt viele Teile des Textes so schlecht lesbar sind:
Oben beim deutschen Text ist fast nur das Drittel unten rechts lesbar. Sind oben und links Buchstaben herausgefallen? Oder sind die Buchstaben alle leer, und man kann den Text bei tief stehender Sonne schlecht lesen?
Beim hebräischen Text wirken jeweils die Wörter ganz links ziemlich blass; und in der unteren Zeile ist manches wegen der Spieglung sehr schlecht lesbar.
Vielleicht müsste die Stadt Dresden mal dafür sorgen, dass der Text mehr Kontrast bekommt, so dass er insgesamt besser lesbar wird.
Es soll ja ein Gedenk-Ort sein, da sollte man den Text an jedem Tag im Jahr bei jedem Wetter gut lesen können.
Foto
Hallo Peter,
vielen Dank für die Nachfragen zum Gedenkort Bahnhof Neustadt. Die eingeschränkte Lesbarkeit auf dem Foto ist auf die Sonneneinstrahlung zurückzuführen. Hier gibt es ein anderes Foto der Gedenktafel, auf dem der Text etwas besser lesbar ist: https://www.cj-dresden.de/events/gedenken-dd-neustadt/.
Viele Grüße
Elisabeth Geldmacher (SLUB)
Eine Bitte ...
Vielen Dank für den Artikel, der wichtig Besitzspuren aufzeigt. Dennoch eine Bitte: Gerne könnt ihr mein Foto verwenden, nur nicht mit dem Bildnachweis "Wikipedia". Wie das Foto der Gedenktafel weiter oben steht auch mein Foto der Gedenktafel am Bahnhof Neustadt unter einer CC-Lizenz. Der Fotonachweis sollte also analog heißen "Foto: Paulae, CC BY-SA 3.0". Es wäre toll, wenn das geändert wird.
...wurde erfüllt
Hallo Paulae,
vielen Dank für den Hinweis! Ich möchte mich für das Versäumnis entschuldigen, die Angabe des Bildnachweises haben wir korrigiert.
Mit besten Grüßen
Elisabeth Geldmacher (SLUB)