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Zwischen Recherche und Ausstellung – Ein Blick hinter die Kulissen zur Ausstellungsvorbereitung „NS-Raubgut“ an der SLUB Dresden

Die SLUB führt seit 2009 mit Unterstützung verschiedener Fördereinrichtungen systematische Provenienzforschungsprojekte durch. Derzeit bereiten wir eine neue Ausstellung zum aktuellen Projekt vor. Zum heutigen Tag der Provenienzforschung hat Karina Iwe, Ausstellungsmanagerin an der SLUB, mit den beiden Provenienzforscherinnen und Kuratorinnen Nadine Kulbe und Elisabeth Geldmacher gesprochen.

Provenienzforscherin Nadine Kulbe bei der Recherche in der SLUB Dresden

Seit 2009 untersucht die SLUB ihre Bestände mit Blick auf Bücher, die im Zuge von Unrechtskontexten ins Haus gelangt sind. Das können beispielsweise während des Nationalsozialismus geraubte Bände sein. In einem aktuell laufenden Projekt werden drei dezentrale Standorte auf dieses sogenannte NS-Raubgut hin überprüft: die ehemalige Zweigbibliothek Rechtswissenschaft, die Zweigbibliothek Medizin sowie die Forstwissenschaftliche Bibliothek in Tharandt.

Die im Rahmen des Projekts gewonnenen Erkenntnisse sollen in einer zunächst am Standort Interim Bibliothek Bergstraße / Open Science Lab (Rechtswissenschaft) gezeigten Ausstellung präsentiert werden.

Zum heutigen Tag der Provenienzforschung nehmen wir die Gelegenheit wahr und stellen Nadine Kulbe und Elisabeth Geldmacher Fragen zum Thema. Beide Wissenschaftlerinnen sind auch Kuratorinnen der Ausstellung, die ab Mitte August zu sehen sein wird.

Im Gespräch mit Nadine Kulbe

Was bedeutet Provenienzforschung und welche Verantwortung geht damit einher?

N. K.: Provenienzforschung meint die Untersuchung der Herkunftsgeschichte von Objekten. Es handelt sich hierbei um künstlerisch, kulturgeschichtlich wertvolle Objekte, aber auch um alltägliche Gegenstände und Bücher. Der Grund für die Untersuchung kann die Geschichte einer Büchersammlung sein, aber auch Unrechtskontexte. In unserem Projekt geht es um Bücher, die im Nationalsozialismus geraubt, enteignet oder zurückgelassen wurden - aufgrund von Verfolgung aus religiösen, politischen oder ideologischen Gründen. Unsere Aufgabe ist es, im riesigen Bestand der SLUB Dresden die Nadel im Heuhaufen zu finden - also die Bücher, die geraubt worden sind - und diese an ihre Eigentümer:innen bzw. deren Nachkommen zurückzugeben.

Welches Buch hast du heute in den Händen gehabt und bearbeitet?

N. K.: Das war ein juristischer Ratgeber von 1888. Er enthält den Stempel und das Autogramm des Forstwissenschaftlers Kurt Mantel (s. Foto), der in den 1930er Jahren an der Forstlichen Hochschule in Tharandt tätig war. Sehr viele Bücher mit Besitzmerkmalen von Mantel wurden an diversen Standorten der SLUB Dresden gefunden, zum Beispiel in der Hauptbibliothek, in den Zweigbibliotheken Recht und der Forstwissenschaft. Das ist interessant, weil sich die Frage stellt, wie die Bücher dorthin gelangt sind. Das können wir hoffentlich vor der Ausstellung, die wir gerade vorbereiten, klären.

 

Im Gespräch mit Elisabeth Geldmacher

In eurer Ausstellung geht es um Bücherschicksale und die Schicksale der Menschen dahinter. Welche Geschichte war für dich besonders beeindruckend?

E.G.: Das verhältnismäßig schlichte Exlibris von Max Alsberg hat das Leben und Schaffen eines prominenten Strafverteidigers der Weimarer Republik aufgeblättert. Alsberg vertrat zum Bespiel den abgedankten Kaiser Wilhelm II. oder Carl von Ossietzky. Zudem veröffentlichte er zahlreiche juristische Schriften und Theaterstücke. Alsberg floh zunächst in die Schweiz und beging im September 1933 Selbstmord. Auch wenn es das nicht direkt erzählt, zeigt das Buch das Verfolgungsschicksal von Alsberg und seiner Familie. Es ist ein weiteres Beispiel für die verschlungenen Verteilungswege von geraubten Kulturgütern vor und nach 1945.

Das Exlibris von Max Alsberg
Das Buch im SLUB-Katalog

Wie sieht die Zukunft der Provenienzforschung aus?

E.G.: Damit wir uns ein möglichst vollständiges Bild machen können, sollten wir konsequent sowohl auf Kontext- als auch auf Einzelfallrecherchen setzen. Besonders wichtig ist es, zu erkennen, dass Provenienzforschung keine kurzfristige Nebenbeibeschäftigung ist, sondern nur als bibliotheksimmanente Aufgabe Sinn macht. Dafür braucht es verstetigte Stellen für die Wissenschaftler:innen. Im aktuellen Projektcharakter wird man weder der Einzelfall- noch der Kontextforschung wirklich gerecht. Verstetigte Stellen an Bibliotheken bedeuten Nachhaltigkeit für das Forschen, das Einleiten von Rückgaben sowie das Vernetzen.

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