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Es geht weiter – 10 Jahre (un)unterbrochene Suche nach NS-Raubgut an der SLUB

Seit dem 15. September 2021 arbeiten die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Nadine Kulbe und Elisabeth Geldmacher in einem von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste finanzierten Projekt zur NS-Raubgut-Suche in den Beständen der SLUB. Nach zwei Vorgängern, „NS-Raubgut in den Erwerbungen zwischen 1933 und 1945“ (2011–2013) sowie „NS-Raubgut in den Erwerbungen nach 1945“ (2017–2020), die sich mit den Beständen der ehemaligen Sächsischen Landesbibliothek beschäftigt haben, rückt nun die ehemalige Universitätsbibliothek in den Fokus.

Dresden-Südvorstadt zwischen Münchner und Bergstraße mit Technischer Hochschule (heute: Technische Universität) von Nordwesten, 1926 © SLUB / Deutsche Fotothek / Hahn, Walter

Systematisch untersucht werden die Bestände der historischen Zweigbibliotheken und dezentralen Standorte: Physik, Chemie, Mathematik, Sport, Marxismus-Leninismus und Architektur sowie die Bibliothek Forstwissenschaft (Tharandt) und die Zweigbibliotheken Medizin und Rechtswissenschaft. Die UB geht auf die Bibliothek der 1828 gegründeten Technischen Hochschule Dresden (TH) zurück. Wie auch die SLB erlitt sie zum Ende des Zweiten Weltkriegs erhebliche Bestandsverluste.

Das Hauptgebäude der TH wurde beim Angriff vom 13. Februar 1945 zerstört. 70 Prozent des Buchbestands gingen verloren. Wie in anderen schwer zerstörten Städten bemühte man sich nach dem Krieg mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln um einen raschen Wiederaufbau der Literaturversorgung. Dabei wurden auch nach 1945 Bücher aus Beschlagnahmungen und Entwendungen aufgenommen und inventarisiert.

Erste Stichproben, die in Vorbereitung des Förderantrags durchgeführt wurden, haben die Notwendigkeit einer Überprüfung der UB-Bestände deutlich gemacht. So fanden sich in zahlreichen Büchern Exlibris, Stempel oder Widmungen, die den Verdacht auf NS-Raubgut nahelegen, darunter Besitzspuren der Juristen Heinrich KlangMax Alsberg und Heinrich Veit Simon sowie von der Großloge von Wien. Eine systematische Überprüfung von ca. 80.000 Bänden ist daher dringend erforderlich.

Als der Jurist James Klang (1847–1914) starb, ging seine Bibliothek an seinen Sohn Heinrich (1875–1854) über. Heinrich Klang studierte an der Universität Wien Rechtswissenschaften und schlug nach seiner Promotion 1897 die Richterlaufbahn ein. 1923 habilitierte er sich an der Universität Wien, wo er ab dieser Zeit als Privatdozent für bürgerliches Recht – seit 1925 als außerordentlicher Universitätsprofessor – lehrte.

Im selben Jahr trat er in die Redaktion der „Juristischen Blätter“ ein, deren Mitherausgeber er im darauffolgenden Jahr wurde. Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 verlor Klang aufgrund seiner jüdischen Herkunft sowohl seine Anstellung als Richter als auch seine Lehrbefugnis. Am 24. September wurde er in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Er überlebte, anders als seine Brüder, den Holocaust und organisierte nach der Befreiung den ersten Rücktransport österreichischer Häftlinge nach Wien. Heinrich Klang berichtet von dem Verkauf seiner Privatbibliothek wie folgt: „Um nicht durch eine plötzliche Ausweisung in eine unmögliche Lage zu geraten, begann ich meinen Besitz langsam zu liquidieren. Am schwersten fiel mir wohl die Trennung von meiner Bücherei, mit deren Sammlung schon mein Vater begonnen hatte und die auf etwa 9.600 Bände angewachsen war, von denen etwa 3.000 juristischen Inhalts gewesen sein mögen, während die übrigen Werke philosophischen, nationalökonomischen und geschichtlichen Inhalts, sowie deutsche, französische und englische Belletristik umfaßten. Ich habe schließlich im Verlaufe von dreiviertel Jahren auf Grund von Annoncen meine von den Eltern ererbte Wohnungseinrichtung und einen erheblichen Teil meiner Bücher verkauft. Eine nicht übermäßige Anzahl konnte ich zu halbwegs anständigen Preisen an Antiquare in Leipzig, Berlin und Frankfurt a.M. verkaufen, während ich mit den Wiener Antiquaren die schlechtesten Erfahrungen gemacht habe […].“

Nach der „Machtergreifung“ wurden die Freimaurerlogen in Deutschland zu einem „Hauptfeind“ des Nationalsozialismus erklärt und verfolgt, 1935 schließlich verboten. In der Folge wurde ihr Eigentum verwertet und verteilt. Dies betraf nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 auch die dortigen Logen wie die im Jahr 1918 gegründete Großloge Wien. Ihr Eigentum und jenes der ihr angeschlossenen Logen wurde beschlagnahmt. Die Bibliotheksbestände kamen zunächst nach Berlin in das Haus der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland in der Eisenacher Straße; ein Teil der beschlagnahmten Bücher ging wenige Monate danach zurück nach Wien an die Österreichische Nationalbibliothek. In den Folgejahren wurden einzelne Bände auch auf weitere Institutionen in Deutschland verteilt.

Projektziel ist es, Verdachtsfälle von NS-verfolgungsbedingten Entzug zu identifizieren und dokumentieren, die Vorbesitzer:innen der Bücher zu recherchieren sowie bei erwiesenen NS-Raubgut Restitutionen oder andere faire und gerechte Lösungen herbeizuführen. Informationen zum Projekt(fortschritt) veröffentlicht das Forschungsteam sukzessive auf der Website „Provenienzforschung. NS-Raubgut in der SLUB“ und auf „Retour. Freier Blog für Provenienzforschende“. Viele Fälle, die zwischen 2017 und 2020 bearbeitet wurden, dokumentieren auch mehrere Restitutionsdossiers, die auf Qucosa zu finden sind.

Weiterführende Artikel auf dem SLUBlog: 

Elisabeth Geldmacher:  SLUB restituiert Buch an Erben von Max Geyer.

Nadine Kulbe: 10 von 100.000: SLUB gibt NS-Raubgut an Arbeiterkammer Wien zurück

Anna Diegmann / Elisabeth Geldmacher / Nadine Kulbe / Robin Reschke: Gerechtigkeit schaffen, faire Lösungen finden: Ein Fazit aus (über) vier Jahren NS-Raubgut-Forschung an der SLUB

 

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